Ansichten einer Buben-Mama

#Klischees #Chaos #Tutu

Neulich im Büro, kurze Besprechung mit einer lieben Kollegin. An ihrer Pinnwand hängt eine bunte Kinderzeichnung: Menschen auf einer Blumenwiese, hübsche Häuser und Bäume im Hintergrund. „Sehr schöne Zeichnung!“, lobe ich und erzähle voll Mutterstolz, dass ich kürzlich etwas ganz Ähnliches von meinem Sohn geschenkt bekommen habe. Mein Sohn ist sechs. Die Kollegin lächelt milde, zieht aus der Schublade ein ziemlich gelungenes Porträt der Eiskönigin Elsa und sagt: „DAS habe ich vor kurzem bekommen.“ Ihre Tochter ist auch sechs. „Das da“, die nicht mehr ganz so liebe Kollegin deutet achtlos auf die Pinnwand, „hat sie als Dreijährige gemalt.


Kleine Kloköniginnen

Als Dreijährige? Echt jetzt? Mein Sohn konnte damals gerade einmal den Filzstift wie einen Maurermeißel halten, er malte Kreise, die weit über das Papier hinaus reichten, und Zickzack-Linien, deren Spuren ich heute noch auf dem Kinderzimmer-Fußboden finde. Naja, immerhin. Sein kleiner Bruder, aktuell dreieinhalb, kann überhaupt nur erratisch ragende Linien, und dann behauptet er steif und fest, das sei ein „Tutu“ (Zug).
Richtig, der Kleine kann noch nicht einmal richtig reden. Es ist eigentlich überflüssig zu erwähnen: Alle gleichaltrigen Mädchen in seiner Kindergartengruppe sprechen bereits in ganzen Sätzen, malen hübsche Bilder, sitzen aufmerksam in der Kreativstunde und sind seit mindestens einem Jahr kleine Kloköniginnen.

Als Feministin wehrte ich mich lange gegen das Klischee von den „braven“ Mädchen und den „schlimmen“ Buben – bis mich die Realität lehrte, dass in jedem Klischee ein Korn Wahrheit steckt. Mädchen und Buben sind absolut nicht gleich in ihrem Verhalten und in ihrem Entwicklungstempo, da gibt es große und kleine Unterschiede. In der Schule setzt sich das dann fort: Die Mädchen gewöhnen sich schneller an die ungewohnte Struktur, den Lernstress, den Zwang stillzusitzen und gesittete Antworten zu geben. Sie halten ihr Zeug beieinander, ihre Schultaschen sind zumeist tipptopp, und sie wissen immer, welche Aufgaben zu erledigen sind.
 

Was Buben draufhaben, wird oft eher als störend empfunden

Bei uns daheim: Chaos, Keine-Ahnung-was-ich-auf-hab, vergessene Pullis, Jacken, Unterhosen (?!) in der Garderobe, vergammelte Jause in der Schultasche, und so weiter. Wundert sich noch wer, dass es von Seiten so manchen Lehrpersonals eine leichte Vorliebe für Mädchen gibt? Eben. Was Buben draufhaben, wird oft eher als störend empfunden – umso mehr, als selbst im bestmeinenden Kindergarten, in der bemühtesten öffentlichen Schule auch immer darum geht, die Kinder für Gesellschaft, Wirtschaft und (Bildungs-)institutionen zum „Funktionieren“ zu bringen. Sie rennen, sie klettern, sie kämpfen, sie brüllen und leben ihre Emotionen expressionistisch – und sie werden von den vielen Frauen, von denen sie pädagogisch begleitet und angeleitet werden, oft nur mit Mühe gebremst. Dabei ginge es eher um laufen lassen, brüllen lassen, kämpfen lassen. Dafür fehlt es, zumal in der Stadt, oftmals an Raum – und auch an Zeit. Selbst ein Kindergartenkind ist schon in eine Pflicht- und Freizeitstruktur gepresst. Mädchen halten das zunächst besser aus – die Probleme kommen oft erst später, in der Pubertät. Buben revoltieren oft schon früher und tragen ihre Revierkämpfe anders, aber mit derselben Brutalität aus wie Mädchen. Eine geschlechtersensible Pädagogik geht auf die Bedürfnisse beider Geschlechter ein und achtet darauf, dass die Schwächeren, die Unterlegenen, die Sensiblen nicht auf der Strecke bleiben.

Vieles ist in den vergangenen Jahren in diese Richtung geschehen – vieles liegt freilich noch im Argen. Mancherorts herrschen immer noch die alten Denkmuster vor, und an allen Ecken und Enden fehlen männliche Pädagogen. Im Kindergarten und in der Volksschule besonders. Sie fehlen übrigens den Buben und den Mädchen. Und deren Eltern sowieso.

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