Corona-Zeit – 22.04.20

So belastet Corona die kindliche Psyche

Unsere Expertin Julia Peham erklärt, wie sich der aktuelle Ausnahmezustand auf die psychische Verfasstheit von Kindern und Jugendlichen auswirkt.

Wie wirkt sich Social Distancing, Ausgangsbeschränkungen und Schulschließungen auf Kinder und Jugendliche aus? Und welche Gruppen sind gerade besonders von negativen Auswirkungen der Corona-Krise betroffen? Julia Peham ist klinische Psychologin im SOS-Kinderdorf Ambulatorium für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Wien. Sie hat uns erklärt, welche Folgen die aktuelle Ausnahmesituation langfristig auf Kinder haben kann.

Julia Peham

Kinder können die aktuelle Lage in ihrer Komplexität nicht so gut verstehen wie Erwachsene. Das kann Angst machen und Folgeprobleme nach sich ziehen .

Julia Peham

 

Auch Kinder machen sich Sorgen

Die aktuelle Situation löst bei Kindern, wie bei uns allen, Sorgen und Ängste aus. Da geht es zum einen um das Virus allgemein, aber auch etwa um die Angst um andere Menschen, wie z.B. die Großeltern oder erkrankte Bekannte. Diese Ängste können sich über den Zeitraum eines längeren Ausnahmezustands immer weiter manifestieren und generalisieren. Dies trifft insbesondere auf Kinder zu, die von vornherein ängstlich waren, oder ängstliche Eltern haben.

Belastung für die ganze Familie

Die aktuelle Situation belastet natürlich die ganze Familie. Auch für die Eltern ist die Situation nicht leicht. Kinder wiederum bekommen mit, wenn die Bezugsperson keine Antworten mehr hat und unsicher ist. Finanzielle und berufliche Probleme der Eltern belasten auch die Kinder.

Viele Eltern meinen, sie könnten ihre Kinder mit erhöhtem Medienkonsum „beruhigen“. Aufgrund fehlender Alternativen beschäftigen sich viele Jugendliche stundenlang, manchmal nächtelang mit Online-Spielen, was zu Tag-Nacht-Umkehr oder gar einer Suchtproblematik führen kann. Außerdem erhöht sich auch dadurch das Konfliktpotential mit den Eltern.

Die fehlende Tagesstruktur kann zu einem weiteren Problem werden. Viele Eltern haben Homeoffice und wenig Zeit, um die Kinder zu beschäftigen, geschweige denn sinnvoll zu fördern. Hinzu kommen soziale Schwierigkeiten, weil Kinder und Jugendliche ihre Freunde vermissen, aber auch der Wiedereinstieg in die Schule oder den Kindergarten kann sich als schwierig gestalten, wenn zu viel Zeit vergangen ist - vor allem bei sozial ängstlichen Kindern.

Back to school

Auch wenn die Öffnung der Schulen mit einem gewissen Risiko der schnelleren Verbreitung des Virus einhergeht, sprechen doch einige Punkte für eine baldige Rückkehr zur Normalität:

Viele Kinder und Jugendliche, gerade aus sozial schwächeren Familien, sind zunehmend mit der Bewältigung des Lernstoffes überfordert. Der Zugang zu Internet und PCs ist nicht in jedem Zuhause gegeben. Viele Eltern können bei den technischen Herausforderungen nicht unterstützen.
Ganz davon abgesehen, muss man festhalten, dass Eltern keine PädagogInnen sind, nicht nur im Hinblick auf den zu vermittelnden Stoff. Vor allem bei Kindern mit Lernschwierigkeiten oder ADHS ist die notwendige Lernunterstützung neben Homeoffice schlicht nicht möglich. Für diese Kinder wird sich ihr Nachteil, den sie ohnehin schon haben, immer weiter vergrößern, solange die Schulen geschlossen sind.  

Die Kindergarten- und Schulpflicht gibt es ja aus einem bestimmten Grund. Kinder lernen im Austausch mit anderen verschiedene Entwicklungsaufgaben. Stichwort: Modelllernen, Moralentwicklung, Entwicklungsstufen. Wichtige Fähigkeiten, die bereits erlernt wurden, können auch wieder verloren gehen.

Konflikte in Familien entstehen in der aktuellen Situation häufiger und können bei zu viel Nähe und zu wenig Ausweichmöglichkeiten eher eskalieren. Die Gefahr der Gewalt an Kindern steigt dadurch und wird durch den fehlenden Kindergarten oder Schulbesuch auch weniger schnell entdeckt.

Kinder sind unterschiedlich betroffen

Prinzipiell gilt: Je länger der Ausnahmezustand anhält, je schwerwiegender können die Folgen werden: Ängste, Soziale Ängste, Lernprobleme, fehlende Entwicklungsschritte, familiäre Probleme, Vergrößerung des sozialen Ungleichgewichts wären mögliche langfristige Folgen. Doch nicht jedes Kind ist gleich betroffen. Wie stark sich die Krise auf ein einzelnes Kind auswirkt, hängt von vielen Faktoren ab: Herkunftsfamilie, Kultur, Temperament, Persönlichkeit, Entwicklungsstufe, psychische Stabilität, Ressourcen…
Bei manchen Familien funktioniert es vielleicht gut, aber vor allem die, bei denen es nicht gut funktioniert, müssen geschützt werden!

Schutz- und Risikofaktoren

Die Corona-Krise ist eine, seit dem 2. Weltkrieg, noch nie dagewesene Katastrophe von seit damals noch nie dagewesenem Ausmaß, von Intensität und zeitlicher Dauer. Sie ist, wie jede Katastrophe dazu tauglich, Menschen zu traumatisieren. Wie sehr ein Kind traumatisiert wird, hängt von den vorhandenen Schutzfaktoren und den zusätzlichen Risikofaktoren ab.

Schutzfaktoren: soziale Kompetenz, Anpassungsfähigkeit, Selbstwert, Intelligenz und Bildung des Kindes aber auch führsorgliche Erziehung, stabile finanzielle Lage und ausreichend Wohnraum.

Risikofaktoren: introvertiertes Temperament, Disharmonie unter den Eltern, dysfunktionale Erziehung, isolierte Familiensituation, Arbeitslosigkeit, Armut, Bildungsmangel oder auch nicht kindgerechte Medienberichterstattung.

Weiterführende Information:

 

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