Gaza – 12.05.25

Wie geht es den Kindern in Gaza aktuell?

Eine SOS-Kinderdorf Mitarbeiterin in Gaza berichtet über die aktuellen Verhältnisse

SOS-Kinderdorf-Mitarbeiter*innen, unbegleitete und von ihren Familien getrennte Kinder und Binnenvertriebene leben derzeit in einem Zeltlager, das vom SOS-Kinderdorf Rafah in Khan Younis errichtet wurde.  Das Lager befindet sich in der sogenannten humanitären Zone, die vom israelischen Militär ausgewiesen wurde. Es beherbergt insgesamt 151 Personen, darunter 38 UASCs, 5 Kinder in langfristiger alternativer Betreuung, 11 Betreuer und 19 Angestellte mit ihren Familien. Das Lager ist 10.000 m2 groß, und die Einrichtung berücksichtigt Schutzmaßnahmen, wobei Kinder und Betreuer von den Binnenvertriebenen getrennt sind.

In folgendem Interview gibt uns eine Mitarbeiterin von SOS-Kinderdorf Gaza einen Überblick über die aktuellen Verhältnisse.

 

Wie geht es den Kindern und Betreuern im Lager der SOS-Kinderdörfer in Khan Younis?

Die Kinder und Betreuer sind in dem Lager in Khan Younis physisch sicher, aber die Gesamtsituation ist äußerst prekär. Das Lager steht aufgrund des anhaltenden Konflikts und des eingeschränkten Zugangs zu grundlegenden Dienstleistungen unter großem Stress. Die Betreuer tun ihr Bestes, um die Stabilität aufrechtzuerhalten und die täglichen Bedürfnisse der Kinder trotz der wachsenden Herausforderungen zu erfüllen.

Gleichzeitig stehen die Betreuer unter enormem emotionalen Druck. Während sie unermüdlich an der Betreuung der Kinder arbeiten, machen sie sich auch große Sorgen um ihre eigenen Familien außerhalb des Lagers, von denen viele in unsicheren oder instabilen Verhältnissen leben. Diese Doppelbelastung wirkt sich auf ihr Wohlbefinden aus und erhöht das Risiko eines Burnouts.

 

Haben sie noch genug zu essen? Und wie lange werden die Vorräte reichen?

Zurzeit sind die Lebensmittelvorräte im Lager begrenzt. Wir erhalten zwar weiterhin täglich warme Mahlzeiten für die Kinder und Betreuer von World Central Kitchen, aber die Vielfalt und der Nährwert dieser Mahlzeiten haben aufgrund der anhaltenden Versorgungsengpässe deutlich abgenommen. Mehr als einen Monat lang waren wir auf die eingelagerten Lebensmittelreserven angewiesen, die jetzt fast aufgebraucht sind. Obwohl es uns gelungen ist, einige Artikel vor Ort zu extrem hohen Preisen zu erwerben, sind die meisten lebenswichtigen Güter auf dem Markt nicht mehr erhältlich. Bei der derzeitigen Verbrauchsrate werden die verbleibenden Lebensmittel nicht länger als ca. zwei Wochen reichen. Ohne sofortigen Zugang zu den humanitären Korridoren wird das Risiko einer unsicheren Ernährungslage, insbesondere für Kinder, drastisch steigen.

 

Wie ist die psychologische Situation der Kinder?

Der psychologische Zustand der Kinder ist äußerst besorgniserregend. Viele zeigen Anzeichen von Trauma, Angst, Furcht und emotionalem Rückzug. Der ständige Konflikt, die Vertreibung und die Instabilität fordern nach wie vor einen hohen Tribut, und leider bleiben die Ursachen für diese Notlage wie Unsicherheit, Bombenlärm und Trennung von der Familie unverändert. Unser psychosoziales Unterstützungsteam, zu dem auch ein Psychologe und ein Sozialarbeiter gehören, bietet jedoch strukturierte Maßnahmen an.

 

Wie geht es den Kindern und Familien in Gaza insgesamt?

Im gesamten Gazastreifen ist die Lage katastrophal. Die Vertreibung, die Zerstörung von Häusern und der Zusammenbruch wichtiger Dienstleistungen wie Gesundheitsversorgung, Wasser und Bildung haben fast jede Familie getroffen. Die Kinder tragen die größte Last; viele wurden von ihren Eltern getrennt, verletzt oder sind gezwungen, in überfüllten und instabilen Unterkünften zu leben. Abgesehen von der psychologischen Belastung durch den Krieg müssen sie nun auch in langen Schlangen für Lebensmittel anstehen, sauberes Wasser zum Trinken oder Waschen suchen und tägliche Überlebensaufgaben bewältigen, die weit über ihr Alter hinausgehen.

Die meisten Kinder sind seit Monaten von der Bildung abgeschnitten, haben keinen Zugang zu  Schulen und können auch nicht in irgendeiner Form lernen. Die Familien haben Mühe, auch nur die grundlegendsten Routinen aufrechtzuerhalten, und je länger der Konflikt andauert, desto tiefer und unumkehrbarer sind die Auswirkungen auf das Wohlergehen der Kinder. Unsere Teams arbeiten derzeit nicht in den Unterkünften, und die humanitären Maßnahmen sind wegen des Stopps des Waffenstillstands unterbrochen, so dass unsere Maßnahmen für mehr als 30.000 Menschen unterbrochen zu werden drohen.

 

Ist SOS-Kinderdorf in der Lage, psychologische Unterstützung zu leisten?

Wir bieten im Rahmen unserer Nothilfeprojekte psychologische und psychosoziale Unterstützung für Binnenvertriebene außerhalb unseres Lagers in Khan Younis an. Wir stellen Binnenvertriebenen auch Mehrzweck-Bargeldhilfe zur Verfügung. Die Situation ist so kritisch, dass wir selbst die grundlegendsten Bedürfnisse wie Nahrungsmittel, sauberes Wasser und sichere Unterkünfte nur schwer befriedigen können. Trotz dieser Herausforderungen tun wir, was wir im Rahmen unserer Möglichkeiten tun können. Im Rahmen des Familienstärkungsprogrammes hat unser Team den Kontakt zu den Familien über Anrufe aufrechterhalten und ihnen psychosoziale Erste Hilfe, emotionale Unterstützung und grundlegende Anleitung zu Bewältigungsstrategien angeboten.

 

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SOS-Kinderdorf ist seit vielen Jahren in Palästina tätig und stellt auch jetzt lebensrettende Grundversorgung und psychosoziale Unterstützung sicher.

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