Jugend­kriminalität

Früher handeln statt später bestrafen!

Publiziert am 24.06.2025

Nicht erst seit der Veröffentlichung der Anzeigenstatistik im April 2025 wird in Österreich intensiv über das Thema Jugendkriminalität diskutiert. Doch ein Aspekt kommt in der Auseinandersetzung häufig zu kurz: wirklich wirksame Gegenmaßnahmen durch frühzeitige Präventionsangebote.

Aus unserer jahrzehntelangen Erfahrung in der Betreuung von Kindern wissen wir, was junge Menschen brauchen. Nämlich stabile Beziehungen und Sicherheit. Der Ruf nach härteren Strafen zielt unserer Meinung nach an der Wurzel des Problems vorbei. Es braucht frühzeitige, unterstützende Maßnahmen und ein Zusammenarbeiten von allen Beteiligten, damit es gar nicht erst zu delinquentem Verhalten kommt. Als Kinderschutzorganisation plädieren wir für mehr Sachlichkeit in der Debatte und möchten zu mehr Verständnis für die schwierigen Lebensumstände von vielen jungen Menschen beitragen.

Ursachen von Jugendkriminalität

Die Ursachen für Jugendkriminalität sind vielfältig. Sie liegen oft in einer belasteten Kindheit, fehlender Unterstützung und mangelnder Koordination der gesellschaftlichen Systeme. Kinder, die keine sicheren und stabilen Bindungen erleben, keine Konfliktlösungsstrategien erlernen oder in einem Umfeld von Gewalt und Härte aufwachsen, sind stärker gefährdet, delinquentes Verhalten zu entwickeln.

1. Psychologisch:
Frühe Kindheit und Entwicklung

  • Fehlende Bindung und Zuwendung: Kinder, die keine stabile, liebevolle und unterstützende Umgebung erfahren, haben Schwierigkeiten, ein Sicherheits- und Vertrauensgefühl zu entwickeln. Dies kann zu einer gestörten Wahrnehmung von sich selbst und anderen führen.
     
  • Emotionale Entwicklung: Kinder, die keine positiven Beziehungserfahrungen machen und in schwierigen Situationen mit Härte oder Gewalt konfrontiert werden, tun sich schwer, Konflikte konstruktiv zu lösen und eine optimistische Zukunftsperspektive zu entwickeln.
     
  • Grundlegende Fähigkeiten: Fehlende Unterstützung in der frühen Kindheit behindert wichtige Entwicklungsschritte, wie das Regulieren von Emotionen, das Differenzieren von Gefühlen und die Fähigkeit, zwischenmenschliche Konflikte zu lösen.

2. Gesellschaftlich:
Systemische Ursachen

  • Zusammenarbeit: Gesellschaftliche Systeme wie Familie, Schule, Jugendhilfe, Medizin und Polizei arbeiten oft nicht gut zusammen. Verantwortung wird häufig hin- und hergeschoben, statt koordiniert auf ein gemeinsames Ziel hinzuarbeiten.
     
  • Überforderung: Im Begriff "Systemsprenger" zeigt sich, dass die bestehenden Systeme oft nicht ausreichend ausgestattet sind, um die Bedürfnisse von delinquent handelnden Jugendlichen adäquat zu adressieren. Sie sind überfordert und werden durch das Verhalten der jungen Menschen "gesprengt".
     
  • Mehr zum Thema Systemsprenger

3. Statistisch:
Erhebungen und gesellschaftliche Wahrnehmung

  • Steigende Anzeigenbereitschaft: Die Zahl der gemeldeten Straftaten von Minderjährigen hat sich in den letzten Jahren erhöht. Dies sei laut Expert*innen jedoch vor allem auf eine gestiegene Anzeigebereitschaft zurückzuführen und nicht zwangsläufig auf eine tatsächliche Zunahme der Jugendkriminalität, da die Zahl der Verurteilungen im selben Zeitraum gesunken ist.

  • Neue Formen von Jugendkriminalität: Das Entstehen von neuen Formen von Jugendkriminalität, wie etwa die Verbreitung pornografischer Inhalte durch Messenger-Dienste im Internet könnte ebenso Ursache für den Anstieg sein.
Christian Rudisch

Kinder und Jugendliche, die derartige Verhaltensweisen zeigen, haben in der Regel bereits massive Erfahrungen mit Härte, Gewalt und anderen katastrophalen Entwicklungsbedingungen gemacht. Als Gesellschaft sind wir gefordert, Voraussetzungen zu schaffen, um die Risiken für Kinder, Jugendliche und Familien zu reduzieren, delinquentes Verhalten überhaupt erst zu entwickeln.

Christian Rudisch

Maßnahmen und Prävention

In der Diskussion rund um Jugenddelinquenz und Kriminalität werden aktuell häufig härtere Strafen oder das Senken des Strafmündigkeitsalters gefordert. Das ist unserer Meinung nach nicht der richtige Weg, um für eine langfristige Besserung zu sorgen. Vielmehr gilt es, die Lebenssituation der betreffenden jungen Menschen ganzheitlich zu sehen.

Unser erstes Ziel in der Prävention von Jugendkriminalität muss sein, Kinder und Jugendliche von klein auf so zu stärken und zu begleiten, dass es gar nicht erst so weit kommt. Damit das gelingen kann, muss an vielen verschiedenen Stellschrauben gedreht werden:

Früherkennung & Prävention

Soziale Dienste und Bildungseinrichtungen sollten Risikofaktoren frühzeitig erkennen. Gewaltpräventionsprogramme, die Förderung sozialer Kompetenzen sowie Sensibilisierung zum Abbau von Vorurteilen in der Gesellschaft sind dabei essenziell.

Unterstützung der Familien

Familien benötigen Beratungs- und sozialpädagogische Unterstützungsangebote, um Herausforderungen zu bewältigen. Verbesserte Rahmenbedingungen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie können zusätzlich zur Stabilität beitragen.

Zugang zu Aktivitäten & Ressourcen

Jugendliche sollten verstärkt niederschwelligen Zugang zu Sportvereinen, kulturellen Aktivitäten und verschiedenen Freizeitangeboten erhalten. Ergänzend können Mentoring-Programme gefährdete Jugendliche individuell unterstützen.

Therapeutische Unterstützung

Betroffene Kinder und Jugendliche benötigen pädagogische, psychologische und psychotherapeutische Angebote. Gruppenangebote können zusätzlich soziale Kompetenzen stärken.

Programme zur Rehabilitation

Straffällig gewordene Jugendliche sollten Angebote zur Resozialiserung erhalten. Diese können beispielsweise Bildungsmaßnahmen, Berufsausbildung und soziale Kompetenztrainings umfassen.

Systemübergreifende Zusammenarbeit

Schulen, soziale Einrichtungen, Justiz und medizinische Dienste müssen interdisziplinär kooperieren. Alle Beteiligten sollten Verantwortung für die Prävention delinquenten Verhaltens übernehmen.

Politische Verantwortung & gesetzlicher Rahmen

Präventive Programme benötigen ausreichende finanzielle Mittel. Gesetzliche Maßnahmen sollten den Schutz und die Förderung delinquent gewordener Kinder und Jugendlicher sicherstellen.

Langfristige, ganzheitliche Perspektive

Es ist ein ganzheitliches Betreuungssystem erforderlich, das die allgemeinen Lebensbedingungen der Betroffenen in den Blick nimmt. Ein solcher Ansatz erfordert adäquate finanzielle Ressourcen.

Förderung eines breiten Dialogs

Ein gesellschaftlicher Diskurs über Ursachen und Lösungsansätze von Jugendkriminalität sollte angeregt werden, um Vorurteile abzubauen und das Verständnis bei Mitmenschen zu stärken.

Allgemeines zur Jugendkriminalität

Was bedeutet Jugendkriminalität?

Jugendkriminalität umfasst jegliches strafrechtlich relevante Verhalten von Menschen, die zwischen 14 und 18 Jahren alt sind, von geringfügigen Vergehen bis hin zu schweren Straftaten. Häufig sind diese Handlungen von jungen Menschen Ausdruck schwieriger Lebensumstände und sozialer und emotionaler Belastung.

Jugendliche unter 14 Jahren sind in Österreich nicht strafmündig, weshalb in diesem Zusammenhang besser von delinquenten Jugendlichen gesprochen werden sollte.

Lage in Österreich

Die Anzeigenstatistik für 2024 legt nahe, dass die Jugendkriminalität in Österreich zuletzt gestiegen ist. So ist die Zahl der Anzeigen von 2023 auf 2024 signifikant gestiegen. Die Zahl der Verurteilungen von Jugendlichen ist allerdings gesunken, was vermuten lässt, dass vor allem die Anzeigenbereitschaft der Bevölkerung  gestiegen ist. Das muss allerdings nicht zwingend bedeuten, dass auch die Jugendkriminalität an sich zugenommen hat.

Außerdem sind laut Dieter Csefan, Leiter der Einsatzgruppe Jugendkriminalität im Bundeskriminalamt, 28% der Straftaten von unter 18-Jährigen auf dieselben drei Jugendliche zurückzuführen.

Gleichzeitig gibt es neue Formen von Jugendkriminalität, etwa Straftaten im digitalen Raum, wie die Verbreitung pornografischer Inhalte über Messenger-Dienste. Sie machen deutlich, dass es neue präventive Ansätze und Schutzmechanismen braucht.

Formen & Beispiele von delinquentem Verhalten

Junge Menschen können unterschiedlichste Formen von auffälligem, herausforderndem Verhalten zeigen. Zu häufigen Arten von Delikten von Jugendlichen und Heranwachsenden zählen beispielsweise:

  • Gewaltdelikte: Körperverletzungen oder Auseinandersetzungen, gewaltvoller Ausdruck von Frust oder Überforderung

  • Diebstahl und Eigentumsdelikte: ungesicherter Umgang mit Eigentum, Sachbeschädigung, mangelndes Verantwortungsbewusstsein

  • Straftaten im digitalen Raum: Verbreitung unangemessener oder illegaler Inhalte, Cybermobbing oder ähnliches

  • Umgang mit Drogen: Besitz, Handel oder Konsum illegaler Substanzen

Eine 14-Jährige wird wegen eines Ladendiebstahls angezeigt. Eine Gruppe von Jugendlichen beschädigt absichtlich Fahrzeuge in der Nachbarschaft. Ein 16-Jähriger verbreitet über einen Messenger-Dienst anstößige Fotos von Mitschüler*innen. Ein Jugendlicher wird beim illegalen Konsum von Cannabis erwischt.

Hinter jeder Handlung steht eine individuelle Geschichte. Die Gründe für solche Delikte sind vielfältig. Wunsch nach Anerkennung, Mangel an Sicherheits- und Vertrauensgefühl, emotionaler Reife oder schlichtweg finanzielle Not.

Fazit: Frühzeitig unterstützen statt strafen

Bei SOS-Kinderdorf sehen wir diese Kinder und Jugendlichen nicht als "Probleme", sondern als junge Menschen, die in schwierigen Lebenslagen Unterstützung und Perspektiven brauchen. Unsere Arbeit zeigt, dass stabile Beziehungen, einfühlsame Begleitung und frühzeitige Prävention den entscheidenden Unterschied machen können.

Jugendliche brauchen keine Strafen, sondern Chancen. Es liegt in unserer Verantwortung als Gesellschaft, jedem Kind und Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, sich sicher und selbstbewusst zu entwickeln. Gemeinsam können wir dafür sorgen, dass sie nicht durch ihr Verhalten definiert werden, sondern durch das Potenzial, das in ihnen steckt.

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Viele junge Menschen haben einen äußerst schweren Start ins Leben. Ihre Chance auf eine glückliche Kindheit und Zukunft ist gefährdet. Helfen Sie mit, Kindern, Jugendlichen und Familien eine Perspektive zu bieten!

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