Dorfplatz 2.0
– 09.07.17
Dorfplatz 2.0
Mütter und Väter suchen Hilfe im Internet. Sie fragen nach Babybrei-Rezepten und wollen wissen, wie man Job und Kinder vereinbaren kann. Und sie finden jemanden, der ihnen Antworten gibt: Die Mama-Bloggerinnen. Warum boomen diese Onlinetagebücher so?
Jeannine Mik hat sich hohe Ziele gesetzt. "Ich will die Welt für meine Tochter zu einem besseren Ort machen", antwortet sie auf die Frage, warum sie ihren Blog mini-andme. com betreibt. "Ich denke, wenn ich andere Mütter mit meinen Inhalten inspiriere, kann ich dazu ein wenig beitragen. Deshalb schreibe ich viel über das liebevolle Miteinander mit unseren Kindern und möchte dazu ermuntern, voneinander zu lernen."
Mik ist eine der großen Mama- Bloggerinnen Österreichs. Papablogs gibt es noch kaum. 113 Familienblogs tauschen sich derzeit in der Facebook- Gruppe "Österreichs Familienblogs" regelmäßig aus. Im Vergleich zu Deutschland eine noch relativ überschaubare Zahl: Im Nachbarland zählt die Elternbloggerszene schon rund 2000 Familienblogs. "Aber wir werden auch in Österreich immer mehr", sagt Judith List von stadtmama.at, eine der Gründerinnen der Gruppe. "Im ersten Jahr waren wir nur zu dritt in der Gruppe, dann kam eine Handvoll Bloggerinnen dazu. Inzwischen möchten regelmäßig neue Familienblogs beitreten."
Ziel sei es, so die Bloggerin, sich auszutauschen, bekannter zu werden. "Wir wollen mehr Eltern erreichen und am Ende auch Firmen." Denn neben dem Weltverbessern geht es für viele bloggende Mütter inzwischen auch um Profaneres: "Mein Blog ist mittlerweile auch mein Job. Das heißt, dass ich auch schreibe, um die Rechnungen zu bezahlen", sagt Mik.
Vom Tagebuch zum Businessmodell
Und es funktioniert: Große Blogs erreichen monatlich bis zu 60.000 Leserinnen und mehr, Facebook-Follower und Instagram-Fans noch nicht mitgerechnet. Das ist für Firmen sehr interessant, schließlich bedienen Blogs mit Eltern eine sehr kaufwillige Zielgruppe.
Dass das Bloggen rund um Themen wie Windeln, Trotzphasen und Bastelideen jemals so viele Menschen erreichen würde – hätten das die Bloggerinnen selbst gedacht? "Ja und nein", sagt Judith List. "Als ich begonnen habe, waren Mamablogs in Österreich noch kaum ein Thema. Ich wusste aber, dass diverse deutsche Elternblogs damals schon eine sehr gute Reichweite hatten."
"Blogs sind eine Art moderner Marktplatz. Heute triffst du dich nicht beim Einkaufen, sondern im Netz."
Sind Eltern heute ratlos?
Aber was genau reizt Eltern an Familienblogs? Vielen scheinen auf der Suche nach Orientierung zu sein – und greifen praktisch jedes Thema der Bloggerinnen bereitwillig auf. Auf Instagram fragt eine Mutter eine Bloggerin, ob sie nicht ein paar Tipps für die Kinderzimmereinrichtung hat, auf einem anderen Blog liest man: "Vielleicht könnten wir via Mail in Kontakt treten – ich habe ein Problem mit meinem Sohn und weiß nicht mehr weiter."
"Blogs sind eine Art moderner Dorfplatz. Heute triffst du dich nicht mehr beim Einkaufen zum Tratschen und Austauschen – heute gehst du ins Netz, um dich zu informieren oder um dich inspirieren zu lassen", sagt Elternberaterin Sandra Teml-Jetter von wertschaetzungszone.at. "Das ist zeitflexibel und ortsunabhängig – und du triffst sicher immer jemanden." Zudem entstehe, so die Expertin, "ein Gefühl der Zugehörigkeit und die Gewissheit, dass ich mit meinen Nöten nicht alleine bin."
Das Privatleben für alle öffnen
Die – wenn auch nur virtuelle – Nähe kann allerdings auch zur Belastung werden. Vor allem für jene Bloggerinnen, die viel Privates auf den modernen Dorfplatz tragen. "Es ist nicht immer einfach", sagt Anja Fischer von gaensebluemchensonnenschein.com: "Ich habe oft gemischte Gefühle. Man gibt jede Menge preis und gewährt vielen unbekannten Lesern sehr viel Einblick." Aber es mache sich auch bezahlt, sagt sie, denn es gebe so viele schöne Erlebnisse, zum Beispiel damals, als sie beim Bäcker stand und eine Frau sie fragte: "Bist du nicht Gänseblümchen & Sonnenschein? Ich hab zwar keine Kinder, aber ich liebe deinen Blog und die Geschichten vom kleinen Fräulein."
Familienbloggerinnen teilen nicht nur Rezepte und Einkochtipps, sie teilen ihren Erfahrungsschatz, ihr Wissen zu familienrelevanten oder pädagogischen Themen. Sie werden als Expertinnen gesehen, aber auch als Freundinnen. "Ich habe eigentlich zwei Persönlichkeiten", sagt Sabrina Jäger, die auf starlightsinthekitchen.com bloggt, "Einmal die Mamabloggerin, Sabrina Sterntal, und einmal Sabrina Jäger, die Ehefrau und Mutter. Ich zeige nicht immer jede meiner Seiten in der Öffentlichkeit, weil ich es wichtig finde, auch etwas für mich zu behalten."
Papablogs, wo seid ihr?
In Deutschland gibt es schon einige bloggende Väter – auch solche, die sich trauen, über weniger gängige Familienmodelle zu schreiben wie papapi.de (zwei Väter mit Pfl egesohn) oder fraupapa.wordpress.com (ein Elternblog über Transsexualität). Die Papabloggerszene in Österreich ist hingegen noch sehr klein. Immer wieder melden sich Väter am gemeinsamen Familienblog zu Wort. Auch eigene Papablogs gibt es bereits, aber sie haben meistens noch eine kleinere Zahl von Leserinnen und Leser. Doch es gibt sie, die Väter, die sich austauschen wollen – und es gibt auch die Leserinnen und Leser, die sich für die Sicht der Väter interessieren. Das zeigt zum Beispiel Papabirdie auf Instagram. Seine Community zählt immerhin schon 12.000 Fans und die österreichische Facebook- Seite Dad’s Life erreicht rund 80.000 Follower mit der humorvollen Seite des Papalebens. Offen bleibt die Frage, warum sich Männer bei Themen rund um Familie und Kindererziehung virtuell vergleichsweise wenig einbringen.