Das Magazin von SOS-Kinderdorf

Mehr Privatsphäre und ein Piratenschiff

Über einem Zeitraum von zwei Jahren wurde das SOS-Kinderdorf in Altmünster komplett umgebaut. Das Kinderparlament und das Dorfkinder-Planungsbüro hatten dabei ein wesentliches Mitsprachrecht. Die „Baustellenreporter“ wiederum sorgten dafür, dass alle Kids stets auf dem neuesten Stand sind. Ein Musterbeispiel für Partizipation und Teilhabe.

Text: Johanna Urban
 

 

Wenn man den Spielplatz im SOS-Kinderdorf in Altmünster das erste Mal betritt, sticht einem sofort die Piratenflagge ins Auge. Sie prangt auf einem der Holz-Spieltürme. Überhaupt sind hier fast alle Spielgeräte aus Holz. Die Kids wirbeln herum, klettern, spielen im Sand oder entspannen sich in einer der Hängematten. Schnell wird klar: Dieser Spielplatz ist etwas ganz Besonderes. Entstanden ist der „Naturnahe Spielraum“ im Zuge der großflächigen Dorferneuerung.

Zwischen 2022 und 2024 wurde das SOS-Kinderdorf Altmünster im großen Stil umgebaut. Die Häuser waren in die Jahre gekommen, entsprachen größtenteils nicht mehr den heutigen Standards und Richtlinien – und vor allem nicht mehr den pädagogischen Anforderungen. Entstanden sind elf neue Gebäude in massiver Holzbauweise – inklusive Photovoltaik-Anlagen, einer Pelletsheizung und begrünter Dächer. Zudem ist das Dorf nun autofrei. So konnte auch der ökologische Fußabdruck massiv verbessert werden.

Darüber hinaus ist auch ein neues Freizeit- und Therapiehaus entstanden. Die auf Kinder zugeschnittenen Therapieangebote – von Ergo- über Physio- bis hin zu Psychotherapie und tiergeschützter Therapie – stehen auch der Öffentlichkeit zur Verfügung. Mit Schulbeginn 2024 wurde auch das neue Schüler*innen-Wohnen im SOS-Kinderdorf Altmünster gestartet – ein österreichweites Vorzeigemodell in Bezug auf präventive Familienarbeit. Von Sonntagabend bis Freitagmittag wohnen hier bis zu 12 Schüler*innen, die von pädagogischen Fachkräften beim Lernen unterstützt werden.

Piratenflagge steht für Mitspracherecht

Eine Besonderheit der Modernisierung wurde jedoch schon vor dem Baubeginn in die Wege geleitet. Denn dass der Spielplatz ganz unter dem Motto Piraten steht, ist kein Zufall: „Die Kinder sind bei der Konzepterstellung zum Naturnahen Spielraum im Herbst 2023 bereits bei der Planungsphase aktiv miteinbezogen worden. Das war uns sehr wichtig. Wir wollen die Kinder und Jugendlichen dort beteiligen, wo es ihr Leben betrifft. Das ist beim Naturnahen Spielraum perfekt gelungen. Der große Wunsch der Kinder war eben ein Piratenschiff“, so SOS-Kinderdorfleiter Gerhard Pohl.

Neben dem Piratenschiff haben sich in den Befragungsrunden auch noch andere Wünsche herauskristallisiert – und wurden entsprechend realisiert. Der neue FUN COURT ermöglicht es, dass sämtliche Ballsportarten nicht mehr nur auf einer Wiese ausgeübt werden können. Im Pump-Track können die Kids nun ihre Geschicklichkeit am Bike trainieren.

Viele der Spielgeräte sind aus Holz. Auf den Hängematten können sich die Kinder ausruhen, wenn sie vom herumtollen müde sind.

Partizipation hat Tradition

Der Erfolg des Beteiligungsprozesses ist auch darauf zurückzuführen, dass Beteiligung in Altmünster schon Tradition hat. Bereits 2008 wurde von der pädagogischen Leiterin Simone Beranek und ihrer damaligen Kollegin das sogenannte Kinderparlament ausgebaut. „Bis heute ist es das zentrale Instrument der Beteiligung für die Kids an unserem Standort“, erzählt Beranek. Vierteljährlich tagt das Kinderparlament mit maximal neun Vertreter*innen. Immer am Anfang des Jahres werden diese von den anderen Kindern gewählt. „Wir achten darauf, dass alle Altersgruppen vertreten sind und es eine ausgewogene Gruppe zwischen Burschen und Mädchen ist“, so Beranek. Begleitet wird das Ganze von einer Beteiligungsbeauftragten, die das Kinderparlament auch moderiert, einem/einer pädagogischen Leiter*in und dem Kinderdorfleiter. „Wir wollen die Kinder einfach einbinden und sie auch regelmäßig informieren. Wir wollen ihre Lebensthemen erfahren und ihre ganz konkreten Wünsche, was das Dorfleben betrifft“, so Beranek.

 

Durch selbst gestaltete Plakate waren die Kinder aktiv am Baugeschehen beteiligt. 

 

Im Hinblick auf den großen Umbau wurde mit dem Dorfkinder-Planungsbüro eine eigene Institution gegründet. In mehreren Runden wurden dabei die Wünsche und Vorstellungen der Kinder in Bezug auf den Neubau eingeholt. Dabei hat sich gezeigt, dass die Kinder ganz konkrete Vorstellungen haben. „Ein ganz großer Wunsch war es etwa, mehr Privatsphäre für Gespräche mit den leiblichen Eltern zu haben“, so Beranek. Solche Gespräche mussten vor dem Umbau oft in Büros abgehalten werden. Seit dem Umbau garantieren großzügig gestaltete Räume im Therapie- und Freizeithaus eine vertrauliche Atmosphäre bei Eltern-Besuchen.

Und auch beim Thema Zimmerausstattung konnten die Kids ein Wörtchen mitreden. „Natürlich kann man hier nicht jedem Kind eine individuelle Zimmerausstattung versprechen, das wäre utopisch und geht aus organisatorischen und finanziellen Gründen nicht“, erklärt Beranek. Am Ende wurde zusammengefasst, welche Möbelstücke unbedingt mit ins Zimmer sollen. „Und die Kids durften die Wände ihres Zimmers selbst mitgestalten.“

Der neue FUN COURT bietet viel Platz und die richtige Infrastruktur für viele unterschiedliche Ballsportarten. 

Die Baustellenreporter berichten

Für die Kinder war die Bauphase natürlich eine aufregende und auch herausfordernde Zeit. Ihr ehemaligen Wohnhäuser wurden abgerissen, teilweise mussten sie zwei Mal umziehen. „Das macht natürlich etwas mit den Kindern. Daher war es ihr Wunsch, auch aktiv am Baugeschehen beteiligt zu sein“, so Pohl. Umgesetzt wurde dies mit selbst gestalten Plakaten, die an den Bauzäunen angebracht wurden. Es gab regelmäßige Baustellenführungen und eine Terrasse, die extra für die Kids auf einem Baucontainer errichtet wurde, damit sie sich einen Überblick verschaffen können. Zudem ist aus dem Dorfkinder-Planungsbüro die Idee der Baustellenreporter entstanden. Kinder konnten sich selbst als solche melden und durften in Folge mehrmals in Form von Newsletter von der Baustelle berichten. Beim Schlüsselübergabefest 2023 haben sie zudem ein eigenes Video produziert.

Welche positiven Effekte die aktive Beteiligung der Kinder hat, zeigt sich am Beispiel des Spielraums und des FUN COURT. Denn die Vorzüge von diesen haben sich auch in der Bevölkerung bereits herumgesprochen. Oft kommen deshalb Kinder und Jugendliche von „außerhalb“. Besonders erfreut darüber zeigt sich auch Pohl. „Das neue SOS-Kinderdorf Altmünster soll ein Ort der Lebensfreude und Perspektive sein, der auf breite Befürwortung stößt.“ 

 

Beteiligung bei SOS-KInderdorf

Beteiligung zählt innerhalb der Organisation SOS-Kinderdorf zu den vier Säulen der Grundhaltungen und Werte – neben Beziehung, Herkunftsfamilie und Professionalität. Bei SOS-Kinderdorf werden Kinder und Jugendliche ihrem Alter und ihrer Entwicklung entsprechend aktiv in alle Belange eingebunden, die sie betreffen. Dadurch wird bereits bei Kindern die Selbstständigkeit gefördert und letztendlich die Selbstwirksamkeit erhöht.

Beteiligung von Kindern und Jugendlichen ist ein Recht, das wir bei SOS-Kinderdorf wahren wollen. Wir wollen sie nicht bevormunden, sondern machen uns für Mitbestimmung stark und geben ihnen eine Stimme. Und das fordern wir nicht nur für Kinder und Jugendliche in unseren Einrichtungen, sondern in Form von regelmäßigen Kampagnen für alle in Österreich und darüber hinaus. „Beteiligung von Kindern und Jugendlichen ist ein Recht, und immer auch eine Gratwanderung. Aber genau diese Gratwanderung wollen wir im SOS-Kinderdorf: Kinder und Jugendliche und ihre Ideen, Wünsche und Sorgen sind uns wichtig. Wir hören zu, denken gemeinsam nach, unterstützen und bevormunden nicht. Wir Erwachsene wissen nicht immer im Vorhinein was das Beste für Kinder und Jugendliche ist“, so Geschäftsführer Christian Moser.

Beteiligung ist nicht nur gesetzlich verankert, sondern hat viele positive Effekte: Dadurch können Kinder und Jugendliche auf Augenhöhe mit Erwachsenen kommunizieren. Beteiligung fördert eine höhere Akzeptanz von Regeln, sie lässt neue kreative Ideen und Handlungsweisen entstehen und sie beugt auch ganz konkret Gewalt vor. Dadurch lernen Kinder und Jugendliche, Konflikte gewaltfrei zu lösen.

 

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SOS-Kinderdorf setzt sich dafür ein, dass die Anliegen von Kindern und Jugendlichen auch in der Politik mehr Gehör finden! 

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