Das Magazin von SOS-Kinderdorf

Warum ist mein Leben nicht so?

Jugendliche suchen ihre Vorbilder oft auf Social Media. Das kann dabei helfen, zur eigenen Identität zu finden. Die Darstellungen von Influencer*innen können aber trügerisch sein – deshalb ist kritisches Denken angesagt.

Text: Fabian Graber

Fotos: Franziska Liehl Photography

Einmal Instagram aufmachen. Das bringt sofort eine Flut an fröhlichen Urlaubsfotos von einsamen Inseln. Oder schöne Menschen und deren trainierte Körper beim Sport. Oder das bunteste und gesündeste Mittagessen. So viel Schönheit und so starke Reize können gut unterhalten. Sie können aber auch schnell überfordern – gerade Kinder und Jugendliche.

Die Darstellung der Realität auf Social Media kann trügerisch sein, sagt Psychologin Anna Bauer vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim. „Wenn man viel auf Social Media unterwegs ist, entsteht der Eindruck, dass die Menschen wirklich so sind. Und Jugendliche fragen sich dann oft: Warum ist mein Leben nicht so?“

Anna Bauer forscht zu den Auswirkungen von Social Media auf die seelische Gesundheit.

Influencer*innen – also Personen, die mit ihrer Präsenz auf Social Media Geld verdienen – werden für viele junge Menschen zu Vorbildern im Internet. „Jugendliche schauen zu Influencer*innen auf und fragen sich oft: Wie stehen die im Leben? Wie kann man da rankommen? Wie stehe ich dazu, was davon will ich annehmen, was nicht?“, so Bauer. Das könne auch bedeuten: Die Influencer*in ist eine Person, mit der ich gern zu tun hätte. „Das beeinflusst die Identitätsbildung sehr stark“, so Bauer. Jugendliche würden in sozialen Medien oft eine Gruppe finden, wo sich alle ähnlich sind oder durch ein Interesse verbunden fühlen.

Im Idealfall geht das Handeln auf Social Media auch mit einer Reflexion einher, bei der sich Jugendliche kritische Fragen stellen, so Bauer. Etwa, wieso Influencer*innen überhaupt auf Social Media aktiv werden, wieso sie bestimmte Produkte kaufen oder bewerben.

Rümeysa Karacabey ist eine junge Influencerin, auf Instagram folgen ihr rund 117,000 User*innen. Mit ihnen teilt sie kurze Videos und Fotos-Storys, meistens mit kurzen philosophischen Texten, vor allem über die süßen Seiten des Lebens. Alles wirkt sehr ästhetisch, oft sieht man Essen, Kaffee, Möbel, Architektur oder Pflanzen. Aber es geht um mehr als schöne Bilder. Die Inhalte sind für Karacabey auch ein Geschäft, indem sie in ihren Postings Unternehmen bewirbt oder für Firmen Inhalte erstellt. „Man kann davon sehr gut leben“, sagt sie.

Wobei sich Karacabey gar nicht als klassische Influencerin versteht. Sie habe in ihrem Alltag eine Balance gesucht, um ihre Kreativität auf Social Media auszuleben. Damit hat sie immer mehr Leute erreicht und schließlich diese große Reichweite bekommen. Sie versuche, Menschen über Bestätigung zu inspirieren, sich selbst im Fokus zu haben. „Ich will nicht, dass Leute zu meinem Profil kommen und einen falschen Eindruck von einem Lifestyle haben, welcher nicht herrscht. Ich versuche da eher eine gemütliche Atmosphäre aufzubauen, wo man gerne herkommt, um sich etwas zu inspirieren und das dann bei sich umsetzt“, sagt Karacabey.

Matthias Sax von Safer Internet.

Oft sei der vermittelte Lebensstil auf Social Media aber scheinheilig und könne gerade für junge Menschen in eine falsche Richtung gehen. „Das Problem beginnt schon damit, dass viele Leute denken, dass man in diese Branche ‚nur‘ Bilder schießt, dass man alles gesponsert bekommt und ein idyllisches Leben vor sich hat“, so die Influencerin. Dabei seien die Bilder und Videos immer nur Sekundenabschnitte von einem ganzen Tag. Und dabei gehe es eben vor allem darum, sich von der besten Seite zu präsentieren. „Man will verständlicherweise nicht die schwachen Punkte des eigenen Lebens hervorheben“.

Dass es auf Social Media oft um Äußerlichkeiten geht, kann eine große Herausforderung sein. Das Aussehen von Menschen, denen Kinder und Jugendliche auf Social Media begegnen, prägt deren Selbstbild sehr stark, sagt auch Medien-Experte Matthias Jax vom Verein Safer Internet. „Sie brauchen viel Unterstützung. Etwa, um zu realisieren, dass nicht jede oder jeder den perfekten Body hat. Dass das oft wenig mit der Realität zu tun hat“, so Jax.

In erster Linie seien Social-Media-Plattformen für Jugendlichen aber Orte, wo sie mit sehr vielen Menschen in Kontakt treten, Gedanken austauschen und andere über digitale Inhalte am eigenen Leben teilhaben lassen können. Mit dem richtigen Umgang haben soziale Netzwerke laut Jax insgesamt mehr positive Auswirkungen auf junge Menschen als negative.

Plattformen wie YouTube, Instagram und Tiktok seien eben auch wichtige Inspirationsquellen für Jugendliche, so die Psychologin Bauer – weil man mit Themen in Berührung kommen könne, die sonst nicht so leicht ersichtlich seien. Ein gutes Beispiel ist seelische Gesundheit, so Bauer. „Das ist durch Social Media nicht mehr so ein Tabu wie früher. Wenn Influencer*innen darüber reden, fällt es vielleicht auch Jugendlichen leichter, sich Hilfe zu suchen“.

Social Media und künstliche Intelligenz

Der Start der Plattform ChatGPT letztes Jahr hat künstliche Intelligenz im Internet auf die große Leinwand gebracht. Mittlerweile gibt es viele neue KI-Anwendungen, die künstlich erstellte Texte, Bilder und sogar Videos liefern, in bisher ungeahnter Qualität. Das macht KI auch für Inhalte auf Social Media interessant. Vor kurzem hat etwa Google angekündigt, dass es für seine Video-Plattform YouTube KI-Werkzeuge einführen wird, um Texte, Hintergrundbilder, Musik und andere Medien mit kurzen Anweisungen in Videos einzubauen. Snapchat hat bereits einen KI-Chatbot eingeführt und Meta hat für seine Plattformen Facebook, Instagram und WhatsApp ähnliche Pläne.

Auch die chinesische Plattform Tiktok setzt in seinen Algorithmen auf künstliche Intelligenz und erlaubt User*innen seit kurzem auch, mit KI erstellte Inhalte als solche zu kennzeichnen. Das eröffnet zahlreiche Möglichkeiten – auch zum Missbrauch. Schon jetzt gibt es bekannte Fälle von Influencer*innen mit enormer Reichweite, die in Wirklichkeit gar nicht existieren. Auch für Privatpersonen wird es immer einfacher, im Internet gefälschte Identitäten zu kreieren. Um sich vor möglichem Missbrauch zu schützen, gibt es zahlreiche Tipps, wie Fake-Profile erkannt werden können, beispielsweise vom Verein „Mimikama“ unter mimikama.org

Schreiben Sie uns!

Wir freuen uns über Ihre Meinung! Schreiben Sie uns Ihren Leserbrief an salto@sos-kinderdorf.at.
(Mit der Einsendung stimmen Sie einer möglichen Veröffentlichung im nächsten Salto-Magazin zu.)

Verpassen Sie nie wieder ein SALTO!

Jetzt SALTO gratis abonnieren und viele weitere spannende Geschichten entdecken!