Das Magazin von SOS-Kinderdorf

Auf dem Skateboard zurück in die Zukunft  

Das Skateboard ist für Mahdi weit mehr als nur ein Sportgerät, es ist ein Symbol für wiedergewonnene Lebensfreude. Der 17-Jährige lebt im SOS-Kinderdorf Clearing-house in Salzburg. Sport dient dort als wichtiges Instrument auf dem Weg zurück in ein glückliches Leben.

Reportage: Martina Molih
 

 

Die Sonne scheint. Neben den Motorengeräuschen des Salzburger Stadtverkehrs, der in unmittelbarer Nähe vorbeizieht, hört man Lachen, Anfeuerungsrufe und ein sich wiederholendes „Klack-Klack“. Es sind die Geräusche eines Skateboards. Immer wieder wird es von einem jungen Mann mit tiefschwarzem Haar auf eine am Boden liegende Europalette zugesteuert. Erst zögerlich, dann in stetig steigendem Tempo versucht Mahdi, der 17-jährige Junge aus dem Iran, mit dem Board auf die Palette zu springen. Mit dem Fuß drückt er das hintere Ende, das Tail, kraftvoll nach unten, wodurch sich der vordere Teil, die Nose, aufstellt. Dann verlagert er sein Gewicht wieder nach vorn und zieht blitzschnell beide Beine in die Luft. Die Bewegungsabfolge beherrscht er, die Ausführung ist jedoch zu langsam. Das Brett verkantet sich und bleibt vor der Palette stehen. Mahdi springt durch die Luft. „Woohoo“ hört man die anderen Jugendlichen rufen. Mahdi gibt nicht auf. Er probiert es wieder und wieder. Nach gefühlten tausend Versuchen klappt er: der Ollie, ein Basic-Trick des Skateboardens. Mahdi setzt auf der Palette auf und gleitet darüber hinweg. Bewundernder Applaus bricht los.

Bewegte und bewegende Momente

In Mahdis Leben ist es ein im wahrsten Sinne des Wortes ein bewegter Moment. In jenem von Meline Mazinjan ein bewegender. Mazinjan ist pädagogische Leiterin des SOS-Kinderdorf Clearing-houses, in dem Mahdi als allein geflüchteter Jugendlicher seit ein paar Monaten lebt und unterstützt wird. Sie kennt Mahdis Fluchtgeschichte und die schreckliche Lebenserfahrung, die er sammeln musste. „Als Mahdi zu uns kam, war er verschüchtert, unsicher und hat sich mehr und mehr zurückgezogen“, erinnert sie sich. „Ganz banale Dinge wurden für ihn immer schwieriger. Bis er irgendwann kaum noch aus dem Bett aufstehen wollte. Durch intensive Betreuung und viele Einzelgespräche konnte ich herausfinden, was Mahdi früher in seiner Heimat Spaß gemacht hat.“ Gemeinsam wurde überlegt, wie er auch hier wieder zu mehr Lebensfreude kommen könnte. „Ich habe ihr erzählt, dass ich gerne das Skateboarden lernen möchte, es mir aber nicht leisten kann“, erzählt Mahdi.

Im Internet hat sich Mahdi zahlreiche Videos von jungen Menschen angesehen, die gut einstudierte Manöver und Tricks auf ihren Skateboards vollführen. Schon bald wusste er zumindest theoretisch ganz genau, wie Flips, Grinds, Slides und Airs funktionieren. Von dem wenigen Taschengeld, dass er als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling bekam und welches er – gemäß gesetzlicher Vorschrift der für ihn zuständigen Grundversorgung – nicht ansparen darf, war es nicht möglich, sich ein eigenes Skateboard zu kaufen. „Meline hat mir angeboten, dass das Clearing-house ein Skateboard kauft und ich es benutzen darf. Ich habe gleich auf einer Anzeigen-Plattform im Internet gesucht und ein tolles Board für 30 Euro gefunden“, berichtet Mahdi stolz. Den traurigen Tagen im Bett folgten Zeiten voller Bewegung, Training, Mut und Motivation. Mahdis körperliche Verfassung verbesserte sich zusehends. Nicht nur seine Fertigkeiten mit dem Skateboard wuchsen, sondern auch seine Lebensfreude und die Hoffnung auf ein glückliches Leben.

Gemeinsamkeiten mit anderen entdecken und Zugehörigkeit entwickeln ist ein wichtiger Aspekt des Sportangebots.

Achtsamkeit und Ventil

Gerade für traumatisierte Kinderflüchtlinge, die Grenzverletzungen und körperliche Übergriffe erlebt haben, ist die Auseinandersetzung mit Körperlichkeit und freier Bewegung ein zentrales Thema. Viele nehmen ihren Körper hauptsächlich als Quelle von Leid wahr, fürchten körperliche Nähe oder kennen je nach Verfassung kaum eigene Grenzen körperlichen Empfindens. Bewegung und Sport sind mögliche Ventile, um Stress und aufkommende Emotionen umzuleiten und Achtsamkeit für das Hier und Jetzt zu entwickeln. Eine Chance, die Mahdi und auch seine Mitbewohner*innen im Clearing-house in Salzburg nutzen. Sportliche Betätigung und regelmäßige Bewegung sind Teil des pädagogischen Konzeptes. Die Auswahl ist vielfältig: Fußball, Jonglieren, Akrobatik, Tanz, Volleyball, Fitness, Parcours-Training. „Bei den sportlichen Angeboten ist es wichtig, dass professionell geschultes Personal die einzelnen Aktivitäten begleitet, um auf die individuellen Bedürfnisse der minderjährigen Flüchtlinge eingehen und ihre Grenzen erkennen zu können“, berichtet Mazinjan. Nur durch das  multiprofessionelle Fachteam gelinge es, ein so vielseitiges freizeitpädagogisches Sportangebot, welches passgenau an die individuellen Bedürfnisse der Jugendlichen angepasst wird, anzubieten.

Sportliche Betätigung ist Teil des pädagogischen Konzepts im SOS-Kinderdorf-Clearing-house in Salzburg.

Muskeln, Gesundheit und noch so viel mehr

Den Körper bewegen heißt, sich selbst zu spüren. Sport ermöglicht es, die eigenen Grenzen zu erkennen und zu überwinden. „Und es geht auch darum, Gemeinsamkeiten mit anderen zu entdecken und sich zugehörig zu fühlen“, erklärt Mazinjan und ergänzt: „Vertrauen aufbauen in sich selbst und zu anderen Menschen, Freundschaften schließen, seelische Wunden heilen und, so wie Mahdi mit dem Skateboard, Lebensfreude wiederfinden.“ Übrigens, nachdem er den Ollie zwischenzeitlich perfektioniert hat, übt er fleißig den Backside Flip. Klack-Klack!

Was ist das Clearing-house?

Das Clearing-house Salzburg ist eine pädagogische Wohneinrichtung des SOS-Kinderdorf für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge im Alter von 14–18 Jahren.

Seit seiner Gründung im Jahr 2001 sorgt das Clearing-house für eine am Kindeswohl und den Kinderrechten orientierte Betreuung von unbegleiteten Kinderflüchtlingen und stellt ein „Flaggschiff“ in dieser Arbeit in Österreich dar. Ein wichtiger Faktor zur Sicherung des Kindeswohls ist die körperliche und psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen, welches im Clearing-house Salzburg u. a. durch ein vielseitiges Sportprojekt gefördert wird.

Ermöglicht wird das zum Großteil durch Spendengelder. Die Betreuung geflüchteter Kinder und Jugendlicher wird nicht im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe, sondern über die Grundversorgung finanziert und entspricht nicht einmal der Hälfte der finanziellen Mittel, die für andere fremdbetreute Kinder in Österreich zur Verfügung stehen.

Ein Kind ist ein Kind, ganz egal wo es geboren ist. Deshalb fordert SOS-Kinderdorf, dass geflüchtete Kinder in Not ebenso kinderrechtskonform behandelt werden wie österreichische Kinder, und macht sich für eine Gleichbehandlung und kindgerechte Betreuung stark.

Sport spielt im SOS-Kinderdorf Clearing-house eine wichtige Rolle. Jano, Barkhad und Abdallah erzählen, warum dieser für sie so wichtig ist:

 

„Mir ist Tanzen sehr wichtig, aber auch Tischtennis. Das mache ich immer sehr gerne im Clearing-house. Sport ist eigentlich wie eine Leidenschaft für mich. Es ist wie Medizin ohne Geld.“
Jano (17 Jahre, aus Syrien)

„Sport ist für mich wichtig, weil er nicht nur meine körperliche Gesundheit verbessert, sondern auch mein Wohlbefinden steigert, Stress abbaut, meine mentale Stärke fördert und soziale Bindungen stärkt.“
Barkhad (16 Jahre, aus Somalia)

„Ich mag es sehr, Sport zu machen, und finde es cool, dass ich das im Clearing-house jeden Tag machen kann. Vor allem Fußball und Fitness mache ich gerne. Ich muss dafür nicht weit wegfahren, sondern kann den Sport in meinem Zuhause machen, immer dann, wenn ich das schaffe.Das hilft mir, mich gesund und gut zu fühlen.“
Abdallah S. (16 Jahre, aus Syrien)

Sicherer Hafen für minderjährige Flüchtlinge

Kinderrechtskonforme Betreuung für geflüchtete Kinder und Jugendliche im Clearing-house Salzburg

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