06.11.19
Wenn Schule Angst macht
Lernen sollte Spaß machen und die Schule ein spannender Ort sein, wo Kinder gerne sind. Doch was, wenn das Gegenteil der Fall ist?
Dominik hatte so viel Spaß am Strand in Dänemark. Seine Augen haben beim Muschelsammeln gefunkelt und beim Ballspielen jauchzte er vor Vergnügen. Jetzt im Herbst ist er nicht wiederzuerkennen. Er ist missmutig, klagt immer häufiger über Bauch- oder Kopfschmerzen. Unbeschwertes Lachen ist zur Ausnahme geworden. Die gemeinsamen Morgen in der Familie werden zur Hölle. Früher war Dominik immer schon als erstes wach. Heute will er nicht aufstehen, hat keinen Appetit, verweigert das Zähneputzen und will sich nicht anziehen. Alles ist ein Kampf. Und alles deutet darauf hin, dass Dominik ein Problem mit der Schule hat.
Was tun, wenn Ihr Kind (plötzlich) die Schule nicht mehr mag? Wie damit umgehen, wenn es beginnt zu schwänzen oder den Unterricht komplett verweigert?
#1 Es gibt viele Gründe.
Schulangst kann viele Gründe haben. Wie zum Beispiel:
- Der Leistungsdruck in der Schule ist zu hoch.
- Das Kind fühlt sich aus der Klassengemeinschaft ausgeschlossen.
- Wenn das Kind die Klasse betritt, wird es von den anderen mit blöden Sprüchen begrüßt.
- Das Kind fühlt sich von den Lehrkräften unter Druck gesetzt, weil es (gefühlt) immer angesprochen wird, wenn es die Antwort nicht weiß.
- MitschülerInnen lachen das Kind aus, weil es die Markenbauchtasche nicht hat, eine Brille trägt, nicht so flüssig lesen kann, oder, oder, oder ...
In den meisten Fällen ist Schulangst nicht auf einen konkreten Grund zurückzuführen, sondern entsteht durch mehrere Faktoren. Dem Kind gegenüber aufmerksam zu sein und sich mit seinem Umfeld auszutauschen kann dabei helfen, etwas Licht in die Hintergründe zu bringen.
#2 Reden hilft.
Weg mit der Scham und dem Perfektionismus, dass alle gleich gut funktionieren müssen! Ihr Kind ist nicht das einzige, das sich mit Schulproblemen herumschlägt. Auch wenn Sie in Ihrem unmittelbaren Bekanntenkreis keine Beispiele finden – es gibt sie!
Enttabuisieren Sie für sich und Ihr Umfeld das Thema Schulangst, indem Sie offen damit umgehen. Sprechen Sie über Ihre Sorgen, Ihre Lösungsversuche und auch über die Hilflosigkeit, die das Verhalten Ihres Kindes in Ihnen auslöst.
Vernetzen Sie sich auch so früh wie möglich mit dem Lehrpersonal, der Schulleitung, der Schulpsychologie etc. Die Judotrainerin kann dabei genauso eine wichtige Rolle spielen wie der Klavierlehrer.
#3 Hören Sie Ihrem Kind zu.
Speziell in der heraus- und überfordernden Zeit der Pubertät sind Eltern meistens nicht die ersten, denen sich Kinder anvertrauen. Dies ist ganz normal und gehört zur Identitätsbildung dazu. Umso wichtiger ist es, genau hinzuhören. Jeder und jede Jugendliche hat eine eigene Art, sich auszudrücken. Vielleicht nur etwas versteckt oder indirekt. Bemühen Sie sich darum, zwischen den Zeilen zu lesen und Signale wahrzunehmen. Diese kommen vielleicht unerwartet in den Werbepausen während des gemeinsamen Fernsehabends oder beim Einkaufen. Womit beschäftigt sich Ihr Kind im Moment? Welche Sorgen hat es? Wer hat was auf Instagram gepostet?
Auch wenn nicht viel geredet wird, ist es wichtig, dass der Kontakt mit Ihrem Kind bestehen bleibt und es für brenzlige Situationen die Gewissheit hat: „Mama oder Papa sind da und helfen mir.“
#4 Den richtigen Ton finden
Versuchen Sie, das Thema möglichst entspannt mit Ihrem Kind zu besprechen. Vermeiden Sie dabei ein verkrampftes, extra einberufenes Gespräch, sondern finden Sie eine geeignete Situation im Alltag, wie das gemeinsame Abendessen oder eine Autofahrt. Wichtig ist, dass Sie authentisch bleiben. Teilen Sie Ihrem Kind in Ich-Botschaften Ihre Gedanken mit: „Ich habe das Gefühl, du geht speziell donnerstags nicht gern in die Schule, kann es sein, dass das mit dem Turnunterricht zusammenhängt?“ Oder „Ich fühle mich, so wie es in der Früh gerade bei uns läuft, nicht wohl. Wie geht’s dir damit? Was können wir anders machen, damit wir mit guter Laune in den Tag starten können?“
#5 Achten Sie auf sich.
Schulverweigerung ist nicht nur für Kinder und Jugendliche anstrengend, sondern bringt auch Eltern unter Druck. Es kommen schnell Zweifel an der eigenen Erziehungsleistung. Sicher ist es gut und wichtig, über mögliche eigene Anteile nachzudenken. Mache ich meinem Kind einen zu hohen Leistungsdruck oder freue ich mich zu wenig über durchschnittliche und gute Leistungen? Ermögliche ich meinem Kind durch unsere Familienregeln ein altersentsprechendes Dazugehören zur Klasse? Überfordere ich mein Kind mit zu hohen Erwartungen an seine Selbstständigkeit oder schwebe ich wie ein Helikopter über jeder kleinen Alltagsentscheidung meines Kindes?
In den allermeisten Fällen wird es aber nicht reichen, die Ursachen für Schulangst nur innerhalb der Familie zu ergründen. Für diese schwierige Phase in der Entwicklung Ihres Kindes brauchen Sie einen langen Atem. Es ist daher wichtig, selbst bei Energie zu bleiben und nicht an Selbstzweifeln, Vorwürfen und persönlichen Kränkungen zu zerbrechen. Nehmen Sie Unterstützung aus Ihrem Umfeld an und achten Sie darauf, was Ihnen gut tut, um ausreichend Kraft zu tanken.
#6 Stärken Sie Ihr Kind und glauben Sie an kleine Wunder.
Egal, warum Ihr Kind Angst vor der Schule hat, es hat dabei eine schwierige Zeit. Versuchen Sie darum, sein Selbstwertgefühl zu stärken. Sagen Sie ihm, was sie toll an ihm finden, was es besonders gut kann und dass sie es lieb haben. Die Wege, mit den Problemen umzugehen, können je nach Alter sehr unterschiedlich sein. Trauen Sie sich ruhig etwas Neues auszuprobieren und haben Sie keine Angst vor dem Scheitern.
Mit Kindern im Volksschulalter kann man gut mit einem Belohnungsplakat oder einer gezeichneten Ampel am Abend gemeinsam durchgehen, was an einem Tag gut lief und wo Luft nach oben ist. Wenn Belohnungen vereinbart wurden, muss man verlässlich sein und diese auch einhalten. Mit Jugendlichen kann man eventuell kleine Deals ausmachen, also Vereinbarungen treffen. Auch wenn dies nicht immer funktioniert, sollte man dranbleiben und weitere, neue Deals vereinbaren. Wenn es hingegen klappt, sprechen Sie das an, loben Sie Ihr Kind und zeigen Sie Ihre Freude. Auch kleine Teilerfolge wollen gefeiert werden. Sie zeigen die richtige Richtung und geben Zuversicht, es gemeinsam aus der Krise zu schaffen. Und diese Zuversicht ist für beide wichtig – für Sie und Ihr Kind.