Nothilfe Sudan
– 09.09.24
"Die Kinder des Sudan leiden, doch ihre Stimmen bleiben oft ungehört."
Ein Interview mit Frau Limia Ahmed, stellvertretende Nationaldirektorin von SOS-Kinderdorf im Sudan.
Kinder im Sudan stehen nach über einem Jahr Bürgerkrieg vor einer dramatischen humanitären Krise. Am 1. August wurde in der Region Nord-Darfur eine Hungersnot bestätigt, und auch in anderen Gebieten herrscht weit verbreitete Mangelernährung.
Ein aktueller Bericht offenbart zudem die Gewalt gegen Kinder, insbesondere gegen Frauen und Mädchen. Limia Ahmed, stellvertretende Nationaldirektorin von SOS-Kinderdorf im Sudan, erklärt, dass viele Kinder ihre Eltern verloren haben oder gezwungen wurden, getrennt von ihren Eltern in unterschiedlichen Flüchtlings- oder Binnenvertriebenenlagern zu leben.
Wie sieht der Alltag von Kindern im Sudan aus, insbesondere in den vom Bürgerkrieg betroffenen Gebieten?
Kinder im Sudan, vor allem in den vom Bürgerkrieg schwer getroffenen Gebieten, stehen vor einer Vielzahl von Herausforderungen, die ihre körperliche, emotionale und schulische Entwicklung stark beeinträchtigen. Der fehlende Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung, Bewegungseinschränkungen sowie ständige Sicherheitsbedrohungen und Gewalt – einschließlich Bombenangriffen, Schießereien und den Auswirkungen bewaffneter Konflikte – schaffen ein Klima der Angst und Instabilität, das es den Kindern unmöglich macht, ein normales Leben zu führen.
Viele Kinder wurden gezwungen, ihre Heimat zu verlassen und in weit entfernte Lager für Binnenvertriebene zu fliehen. Diese Lager sind meist überfüllt und bieten harte Lebensbedingungen, ohne die grundlegenden Notwendigkeiten wie sauberes Wasser, sanitäre Einrichtungen und angemessene Unterkünfte. Aufgrund des Zusammenbruchs der landwirtschaftlichen Systeme und Versorgungsketten ist Mangelernährung weit verbreitet.
Wie wirkt sich der Bürgerkrieg auf das körperliche und geistige Wohlbefinden der Kinder aus?
Der Konflikt hat Kinder extremen Schwierigkeiten ausgesetzt und hinterlässt tiefe psychische Narben, die ihr geistiges Wohlbefinden negativ beeinflussen. Der Zugang zu psychologischer Unterstützung oder anderen Formen der Hilfe ist stark eingeschränkt. Viele Kinder geraten in das Kreuzfeuer, erleiden körperliche Verletzungen und Behinderungen oder verlieren geliebte Menschen. Sie sind häufig von posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) betroffen, die sich in Albträumen, Flashbacks und starker Angst äußert und ihre emotionale und soziale Entwicklung behindert.
Es gibt auch Berichte über einen Anstieg sexueller Gewalt gegen Kinder, insbesondere gegen Mädchen, was sowohl zu unmittelbaren körperlichen Schäden als auch zu langfristigen seelischen Traumata führt. Kinder werden oft gezwungen, erwachsene Rollen zu übernehmen und Verantwortung zu tragen, die ihre Fähigkeiten überfordert, was ihre psychische Gesundheit zusätzlich belastet.
Wie ist die Lage der Kinder ohne elterliche Fürsorge im Sudan?
Viele Kinder haben ihre Eltern oder Vormunde durch Bombenangriffe, bewaffnete Überfälle oder Krankheitsausbrüche verloren – Krankheiten, die oft vermeidbar wären, wenn eine funktionierende Gesundheitsversorgung vorhanden wäre. Massenvertreibung hat außerdem viele Kinder von ihren Familien getrennt. In einigen Fällen sind diese Kinder gezwungen, getrennt von ihren Eltern in verschiedenen Flüchtlings- oder Binnenvertriebenenlagern zu leben.
Diese Kinder sind besonders schutzbedürftig und benötigen dringend Unterstützung, die nur durch eine koordinierte internationale Reaktion mit ausreichenden Ressourcen, Fachwissen und langfristigen Lösungen bereitgestellt werden kann.
Welche Maßnahmen ergreift SOS-Kinderdorf im Sudan, um Kinder und Familien zu unterstützen und das Risiko einer Trennung von Familien zu minimieren?
Neben dem alternativen Betreuungsprogramm führt SOS-Kinderdorf im Sudan derzeit ein umfassendes dreijähriges Notfallprogramm (2024-2026) durch, das von der Dutch Relief Alliance (DRA) finanziert wird. Ziel ist es, etwa 32.500 Menschen zu erreichen. Das Programm bietet lebensrettende, integrierte Maßnahmen, die sich auf die am stärksten betroffenen Personen, Binnenvertriebene und Aufnahmegemeinschaften konzentrieren. Dabei werden dringende Bedürfnisse gedeckt und die Resilienz gestärkt.
Das Programm legt den Fokus auf Schutz, Wasser- und Sanitärversorgung, Ernährungssicherheit und Lebensgrundlagen. Es priorisiert den Schutz von Kindern vor Missbrauch, Vernachlässigung, Ausbeutung und Gewalt und schafft kinderfreundliche Räume. Zudem wird psychosoziale Unterstützung angeboten und die Kapazität der Gemeinschaft aufgebaut, um auf Schutzfragen zu reagieren. Durch die Verteilung von Nahrungsmitteln soll die Mangelernährung bekämpft werden.
Wie geht es den Kindern und Betreuern, die aus Khartum umgesiedelt wurden, in dieser Krise?
Die umgesiedelten Familien sehen sich weiterhin mit Sicherheitsbedenken und konfliktbedingten Risiken in ihren neuen Unterkünften konfrontiert. Diese Unsicherheit verursacht anhaltende Ängste und Stress bei den Kindern und Jugendlichen.
Die Unterbrechung ihrer Schulbildung hat die Kinder stark getroffen. Viele von ihnen berichten, dass sie ihre Schule und ihre Freunde vermissen und sich wünschen, wieder in die Schule zurückkehren zu können.
Um das Wohl der Kinder, Jugendlichen und Familien zu gewährleisten, ist ein kontinuierlicher und koordinierter Einsatz erforderlich, um eine relativ stabile Umgebung zu schaffen, in der sie ihr Leben wieder aufbauen und eine hoffnungsvolle Zukunft sichern können. Die Widerstandsfähigkeit dieser Kinder und Betreuer ist bemerkenswert, und mit der richtigen Unterstützung können sie die Herausforderungen überwinden, denen sie gegenüberstehen.
Was ist Ihre Botschaft an die Welt bezüglich des Krieges und seiner Auswirkungen auf die Kinder?
Der andauernde Konflikt im Sudan hat eine humanitäre Krise ausgelöst, die verheerende Auswirkungen auf Kinder hat – die am stärksten gefährdeten Mitglieder der Gesellschaft. Diese Kinder werden von der internationalen Gemeinschaft oft vergessen, da der Fokus auf Konflikte wie den Israel-Palästina-Konflikt und die Situation in der Ukraine gerichtet ist. Doch auch die Kinder im Sudan leiden unter unvorstellbaren Schwierigkeiten, und ihre Stimmen bleiben auf der globalen Bühne oft ungehört.
Wir rufen die globalen Führungskräfte und Entwicklungsakteure dazu auf, mehr diplomatischen und politischen Druck auszuüben, um den Konflikt im Sudan zu beenden. Es liegt in unserer kollektiven Verantwortung sicherzustellen, dass diese Kinder den Schutz, die Fürsorge und die Chancen erhalten, die sie verdienen.