Trauma & Therapie
– 20.02.24
"Wir stützen uns gegenseitig"
Wir unterstützen Kinder, die im Krieg verletzt wurden, mit unterschiedlichen Angeboten - etwa mit Gutscheinen, psychologischer Begleitung oder der Finanzierung von Reha-Maßnahmen, wie bei Myroslava und ihrer Mutter.
Über 460 Kinder haben seit Kriegsbeginn bereits Hilfe im so wichtigen Genesungsprozess erhalten. In einem Rehazentrum südlich von Lemberg ermöglicht SOS-Kinderdorf derzeit drei Kindern und ihren Eltern einen mehrwöchigen Aufenthalt.
"Kinder können Ursache-Wirkung noch nicht einordnen, sie verstehen nicht, dass tägliche Übungen dazu führen, dass es ihnen kontinuierlich besser geht. Darum versuchen unsere Therapeut*innen für jedes Kind spielerische Therapiemethoden zu finden, die dem Kind Spaß machen. Parallel bekommen auch die Eltern psychologische Begleitung und es gibt auch Eltern-Kind-Therapieeinheiten. Damit die ganze Familie lernt, mit den Traumata und dem Lebenseinschnitt durch die Verletzung umzugehen.", erzählt Physiotherapeut Oleg.
Eines der Kinder ist Myroslava und ist 10 Jahre alt. Sie ist gemeinsam mit ihrer Mutter Maryna schon das dritte Mal in dem Rehazentrum wegen einer schweren Verletzung an ihrer Hüfte. Sie lernt gerade wieder zu gehen, ist aber noch stark eingeschränkt. Wie es zu dieser Verletzung kam, erzählt Mutter Marina. Schon bevor sie zu sprechen beginnt, sieht man ihr die Anspannung deutlich an. Etwas nach vorne gebeugt sitzt sie da, ihre Augen füllen sich schon jetzt mit Tränen. Ermutigend legt Tochter Miroslava ihren Arm um ihre Mutter und lächelt sie an.
Mutter Marinas Hände zittern etwas, als sie beginnt zu erzählen. Von dem Tag, der ihr Leben veränderte. Am 14. Februar 2023 hört man in ihrer Stadt einige Explosionen. Marina ist gerade in der Arbeit. Sobald sie die Neuigkeiten erreichen, eilt sie nachhause. Doch ihr Zuhause ist nicht mehr da. Das Hochhaus, in dem sie viele Jahre gelebt hatte, in dem ihre Tochter aufgewachsen ist, wurde getroffen. Den Anblick des vollkommen zerstörten Hauses werde sie nie vergessen, so Marina. Was darauf folgte war jedoch noch viel schlimmer. „Wo ist Miroslava?“ Sie erfuhr, dass ihre Tochter bereits im Krankenhaus sei. Sie lief sofort, so schnell sie nur konnte, los. Rund zehn Minuten später kam sie an – die längsten und schlimmsten zehn Minuten ihres Lebens. Endlich angekommen, lief sie in das Zimmer, in dem sich Miroslava befinden sollte, öffnete die Tür und sah ein junges Mädchen – erkannte ihre Tochter aber nicht. Myroslava war 24 Stunden bewusstlos. Das erste was sie sagte, als sie wieder aufwachte war: "Mama, du lebst!"
Maryna erfuhr, dass ihre Tochter während des Einschlages gerade im Garten spielte und während Bergungsarbeiten aus Trümmern des Hochhauses geborgen werden konnte. In den nächsten Monaten folgten unzählige Krankenhausaufenthalte, einige Operationen. Die alleinerziehende Mutter wich in dieser Zeit keine Sekunde von der Seite ihrer Tochter. Miroslava litt sehr unter ihren Einschränkungen und den traumatisierenden Erlebnissen. „Sie wollte nicht mehr leben“, sagt Marina, während ihr einige Tränen über ihre Wange laufen. Durch intensive psychotherapeutische Betreuung und den Aufenthalten in dem Rehazentrum, konnte sich Myroslava wieder langsam ins Leben zurückkämpfen.
Man ist als Mutter bereit, wirklich alles für sein Kind zu geben. Das wurde mir in der Zeit sehr klar. Lange war ich Myroslava Stütze, nun ist sie meine.
Miroslava legt wieder liebevoll den Arm um ihre Mutter und flüstert ihr zu "Wir stützen uns gegenseitig."
Maryna erzählt, dass sie im Krankenhaus bereits von einer Sozialarbeiterin angesprochen wurde, ob sie Hilfsleistungen von SOS-Kinderdorf beziehen möchte. Denn Sozialarbeiter*innen von SOS-Kinderdorf bekommen laufend Informationen von Krankenhäusern oder anderen staatlichen Institutionen über Familien kriegsverletzter Kinder. So konnte der Kontakt schnell zu Marina hergestellt werden. Nach etwas Bedenkzeit nahm Maryna das Angebot an – und prompt bekam sie wichtige Unterstützungen – wie Gutscheine, um sich Kleidung und weitere Notwendigkeiten zu besorgen. Und, in weiterer Folge die Finanzierung der Reha-Aufenthalte.
Die Familie ist nun voraussichtlich die nächsten 21 Tage in dem Rehazentrum. Neben einem genau geplanten Programm für Myroslava, wird auch Mutter Maryna psychotherapeutische Sitzungen in Anspruch nehmen. Marina wünscht sich, dass die ukrainische Gesellschaft offener für Menschen mit Behinderungen wird. Nicht zuletzt auch, weil dies durch den Krieg sehr viele Menschen betreffen wird. Auch Miroslava fragen wir, was sie sich für die Zukunft wünscht. Nach langem Überlegen antwortet sie strahlend: "Einen Hund! Mein Wunsch ist es, wenn ich wieder richtig gehen kann, mit dem Hund dann lange Spaziergänge zu machen." Mutter Maryna ergänzt: "Wir haben schon darüber gesprochen, dass wir einen Hund aus einem Tierheim nehmen werden. Wahrscheinlich einen Hund mit einer Behinderung." Mit folgenden Worten schließt Maryna das Interview ab "Ich bin sehr, sehr stolz auf meine Tochter." Und die beiden umarmen einander innig.
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