Nahost-Konflikt
Rettung aus Gaza
Drei Monate nach ihrer Evakuierung schwanken die Kinder aus dem SOS-Kinderdorf Rafah zwischen Freude und Schuldgefühlen.

In einer spektakulären Rettungsaktion war das SOS-Kinderdorf Rafah in Gaza am 11. März 2024 evakuiert worden.
Die 68 Kinder, ihre Betreuenden sowie deren Familien gehören zu den wenigen Anwohnern Gazas, die während des Krieges außer Landes gebracht werden konnten. Drei Monate später leben die Kinder zwischen Freude und Schuldgefühlen.
Im SOS-Kinderdorf in Bethlehem können die evakuierten Kinder das Erlebte spielerisch verarbeiten. Ola war als Betreuerin bei der Evakuierung dabei. Sie sagt: "Hier gibt es zum Glück keine Gefahren mehr." Im SOS-Kinderdorf Bethlehem haben die Kinder ein vorübergehendes neues Zuhause gefunden. Die Begegnung zwischen den einheimischen Kindern und denen aus Gaza sei von Beginn an harmonisch abgelaufen. "Es ist bemerkenswert, dass sich unsere Kinder nicht verschließen, nach allem, was sie im Krieg erlebt haben. Ich bin so stolz auf sie, dass sie ihr neues Leben in Bethlehem annehmen und auf andere Menschen zugehen können", so Ola.
"Werden wir morgen früh lebend aufwachen?"
Die Sozialarbeiterin Eslam betont, dass die Kinder noch viel Zeit brauchen. Der Krieg, die Angst ums eigene Leben sei nicht spurlos an ihnen vorübergegangen. Sie sagt: "Wer an Kampfgeräusche und Angst gewöhnt ist, braucht Zeit, sich mit Ruhe und Frieden vertraut zu machen. In Rafah standen die Kinder unter Dauerstress. Sie konnten nicht einfach auf die Straße spazieren. An solch simple Sachen, die für andere Menschen selbstverständlich sind, müssen sie sich erst wieder gewöhnen."
Die Sozialarbeiterin ist seit 13 Jahren für SOS-Kinderdorf tätig und hat die Kinder auf der Flucht von Rafah nach Bethlehem begleitet. "Die Symptome des Krieges kommen noch immer hoch: vor allem nachts in Form von Bettnässen und Albträumen", erzählt Eslam. Nachtruhe habe es in Gaza nicht mehr gegeben. "Ständig sind die Kinder zu uns gekommen und haben gefragt: 'Werden wir morgen früh lebend aufwachen? Wann wird unsere Zeit zum Sterben kommen? Wann sind wir dran?"
Sorge um Freunde
Um die Erlebnisse zu verarbeiten, werden die Kinder therapeutisch unterstützt. Ghada Hirzallah, Leiterin des SOS-Kinderdorf in Palästina, erklärt: "Sie haben Traumata erlitten, aber sie haben auch viel Kraft. Wir kümmern uns um ihre körperliche und mentale Gesundheit. In ihren Alltag haben wir viele Aktivitäten wie Mal- und Tanztherapie integriert, in denen sie auf spielerische Weise mit dem Erlebten umzugehen lernen. Sie haben ein Recht darauf, wie jedes andere Kind, frei und sicher zu leben, und ihre Träume und Ziele zu verfolgen."
Nicht allen Kindern fällt das leicht.
Hirzallah sagt: "Sie sind zwiegespalten: Einerseits sind sie froh, hier zu sein, andererseits fühlen sie sich schuldig, weil sie ihre Freunde zurückgelassen haben. Wir arbeiten mit ihnen zusammen, damit sie ihre Schuldgefühle loslassen können. Sie sind schlau und lernen mit der Situation umzugehen. Und sie sind dankbar für die Möglichkeiten, die sie hier in Bethlehem bekommen." Dazu zählt auch die Chance auf Bildung. Die Kinder konnten seit Beginn der Kampfhandlungen in Gaza nicht zur Schule gehen. Nun erhalten sie übergangsweise Unterricht, bis das neue Schuljahr beginnt, und sie am regulären Schulalltag teilnehmen können.
Sowohl in Israel als auch in Palästina leistet SOS-Kinderdorf seit Jahrzehnten Hilfe für Kinder, die die elterliche Fürsorge verloren haben oder davon bedroht sind, sie zu verlieren und unterstützen Familien, um sie vor dem Zusammenbrechen zu bewahren.
Nothilfe in Gaza geht weiter
In Österreich bleibt indes die Sorge um die Kinder und Kolleg*innen, die sich noch im Gazastreifen befinden, bestehen. Das SOS-Kinderdorf in Rafah musste Ende Mai in ein vorübergehendes Camp im zentralen Gaza-Streifen notverlegt werden, da sich das Sicherheitsrisiko in Rafah durch die israelische Bodenoffensive und Luftangriffen drastisch erhöht hatte.
Im vorübergehenden Camp werden auch weiterhin Kinder aufgenommen, die durch den anhaltenden Krieg die elterliche Fürsorge verloren haben. Jedes Kind hat ein Recht auf ein sicheres Leben.
Deshalb setzt SOS-Kinderdorf die Arbeit in Gaza fort und ruft alle Akteur*innen mit größter Dringlichkeit dazu auf, die von dem Konflikt betroffenen Kinder im Einklang mit dem Völkerrecht zu behandeln und zu schützen.
Ihre Spende wirkt
Ob in Gaza, im Sudan oder der Ukraine – wir sind in 138 Ländern aktiv und können ausgehend von unseren SOS-Kinderdörfern schnell und zielgerichtet Nothilfe für Kinder und Familien leisten. Bitte unterstützen Sie unsere Nothilfe-Maßnahmen mit einer Spende.
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