Mobilie Familienarbeit
– 02.12.24
20 Jahre Wegbegleitung
Bereits 2004 eröffnete SOS-Kinderdorf mit der Ambulanten Familienarbeit Tirol ein Unterstützungsangebot für Familien in belastenden Situationen. Zwei Jahrzehnte später zeigt sich die Wichtigkeit dieser Arbeit deutlicher denn je.
Jedes Kind hat das Recht auf elterliche Fürsorge und ein Aufwachsen in einer liebevollen und unterstützenden familiären Umgebung, so ist es in der UN-Kinderrechtskonvention festgeschrieben. Eltern sollen ihre Kinder in allen Lebenslagen unterstützen, ihnen Zuneigung schenken und für sie da sein. Doch nicht alle Eltern können diese Fürsorge im vollen Umfang leisten. „Immer mehr Familien stehen vor großen Herausforderungen. Unsere Aufgabe ist es, sie so zu stärken, dass sie diese Hürden eigenständig überwinden können. Dabei steht das Wohl der Kinder für uns stets an erster Stelle – es muss rechtzeitig gesichert werden, damit sie in einem förderlichen Umfeld aufwachsen“, erklärt Magdalena Fuchs, pädagogische Leiterin der mobilen Familienarbeit von SOS-Kinderdorf in Tirol.
Wenn Familien an ihre Grenzen stoßen
In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass Familien zunehmend mit „Multiproblemlagen“ zu kämpfen haben, die verschiedene Lebensbereiche betreffen und dauerhafte Belastungen erzeugen. Neben häufig bestehenden Problemen der Eltern, wie psychischen Erkrankungen, Traumatisierungen und Substanzmissbrauch, geraten Familien zusätzlich durch äußere Faktoren unter Druck. „Wirtschaftliche Unsicherheiten, steigende Lebenshaltungskosten und gesellschaftliche Anforderungen führen zu psychischen und sozialen Belastungen sowohl bei den Eltern als auch bei den Kindern und Jugendlichen“, so Fuchs. „Diese Herausforderungen können Familiengefüge erschüttern und die Stabilität gefährden, die Kinder für ihre gesunde Entwicklung benötigen.“
Auch die Folgen der Corona-Pandemie machen sich noch bemerkbar: Viele Familien haben heute ein deutlich höheres Risiko, in Krisen zu geraten. Der verstärkte Medienkonsum und der fehlende Kontakt zu Gleichaltrigen während der Lockdowns führte bei Kindern und Jugendlichen langfristig zu Problemen wie Schulverweigerung, Angststörungen, sozialem Rückzug und in manchen Fällen sogar zu exzessivem Drogenkonsum. In diesen anspruchsvollen Situationen fehlt es Eltern häufig an den nötigen Ressourcen, um angemessen damit umzugehen. Besonders schwierig wird die Situation für alleinerziehende Mütter oder Väter. Die Zahl der Alleinerziehenden nimmt zu, was die ohnehin wachsenden finanziellen Sorgen innerhalb vieler Familien verstärkt und zu Beziehungsproblemen, Überforderung und weiteren psychischen Belastungen führen kann.
Suche nach Geborgenheit inmitten von Krisen
Wenn Eltern durch vielfältige Belastungen unter Druck stehen, bleibt oft nur wenig Zeit und Energie für ihre Kinder. „Für Kinder bedeutet dies häufig massive Verunsicherung in einem Umfeld voller Konflikte und eine Vernachlässigung ihrer Bedürfnisse“, so Fuchs. „Kinder benötigen Rituale und Bezugspersonen, die ihnen verlässlich zur Seite stehen. Ein stabiles Umfeld mit gemeinsamen Mahlzeiten, Unterstützung bei den Hausaufgaben, Fürsorge bei Krankheit und kleine Alltagsrituale – ob Vorlesen, Spielen oder das Teilen von Erlebnissen – ist essenziell für ihr Wohlbefinden und fördert wichtige soziale und emotionale Fähigkeiten.“ All diese Erfahrungen schaffen die Grundlage für die persönliche Entwicklung und geben Kindern die Sicherheit, die sie zum Heranwachsen brauchen. In instabilen Familien fehlen diese wertvollen Bindungsmomente jedoch oft.
Den Kindern ihre vertraute Welt erhalten
Wenn eine Familie in Not gerät, ist gezielte, präventive Unterstützung entscheidend. An sechs Standorten in ganz Tirol setzen sich Familienberater*innen (Psychotherapeut*innen, Psycholog*innen, Erziehungswissenschaftler*innen, Sozialarbeiter*innen und Sozialpädagog*innen) von SOS-Kinderdorf täglich dafür ein, belastete Familien zu stützen, damit die Rechte von Kindern gewahrt werden und sie bei ihren Eltern bleiben können. Die Unterstützung der nachgehenden Familienarbeit orientiert sich eng an den individuellen Bedürfnissen der Familien. „Die Eltern sind die Expert*innen für ihr Leben und formulieren ihre Ziele selbst, während sie Unterstützung erhalten, um diese zu erreichen“, betont Fuchs. Die Betreuung erstreckt sich in der Regel über zwei bis drei Jahre, wobei die Familienberater*innen ein- bis zweimal pro Woche die Familien zuhause besuchen, bei Amtswegen begleiten sowie Outdoor-Aktivitäten durchführen. Wichtige Elemente sind die Stärkung der Erziehungskompetenzen und das Verankern einer Tagesstruktur. Themen wie finanzielle Situationen, Arbeitslosigkeit, Wohnverhältnisse und psychische Erkrankungen der Eltern werden ebenfalls behandelt. Das Hauptziel ist, den Familien zu helfen, sich selbst zu helfen, wobei das Wohl des Kindes immer an oberster Stelle steht. „Wir wollen den Kindern eine Stimme geben. Auch wenn Kinder ihre Bedürfnisse manchmal noch nicht in Worte fassen können, sind diese dennoch da. Wir unterstützen dabei, ein Bewusstsein in der Familie für die Anliegen der Kinder zu schaffen“, erklärt Fuchs.
Kinderrechte stärken für eine stabile Gesellschaft
Angesichts der zahlreichen Herausforderungen, denen Familien heute ausgesetzt sind, wird die Wichtigkeit präventiver Angebote immer deutlicher. Der Bedarf zeigt sich auch in den Betreuungsstunden: von 8.551 Stunden im Jahr 2004 hat sich die Gesamtzahl der Betreuungsstunden in den letzten 20 Jahren auf über 800.000 Stunden erhöht. Im Jahr 2023 wurden allein in Tirol 481 Kinder und ihre Familien durch die mobile Familienarbeit unterstützt. „Kinderrechte und das Aufwachsen in einem liebevollen Umfeld sind keine verhandelbaren Privilegien, sondern fundamentale Bestandteile einer stabilen und gesunden Gesellschaft“, betont Wolfram Brugger, Leiter von SOS-Kinderdorf in Innsbruck. Die aktuelle Statistik der Kinder- und Jugendhilfe zeigt, dass im Jahr 2023 mehr als 13.000 Kinder und Jugendliche nicht bei ihren Herkunftsfamilien aufwuchsen. „Der beste Platz für ein Kind ist prinzipiell bei den eigenen Eltern. Als Gesellschaft dürfen wir darum nichts unversucht lassen, Familien so zu unterstützen, dass sie nicht auseinanderbrechen. Präventive Angebote tragen langfristig zur Entwicklung und zum Wohl unserer Kinder bei und sind somit eine essenzielle Investition in die Zukunft von Familien.“
Facts: Mobile Familienarbeit von SOS-Kinderdorf in Tirol
- Die mobile Familienarbeit von SOS-Kinderdorf (sogenannte „Ambulante Familienarbeit Tirol“) gibt es seit 1. April 2004. In den 20 Jahren seit Bestehen wurden 2.176 Kinder und Jugendliche mit ihren Familien gemeinsam betreut.
- Die mobile Familienarbeit betreut, berät und begleitet Familien in belastenden Situationen im Auftrag der Kinder- und Jugendhilfe. Dieses Angebot wird als „Unterstützung der Erziehung“ bezeichnet.
- Die Kinder- und Jugendhilfe prüft, was für das Wohl des Kindes in einer bestimmten Situation das Beste ist. Liegt keine akute Gefahr vor, kann eine Unterstützung der Erziehung in Betracht gezogen werden.
- Derzeit gibt es sechs Standorte der mobilen Familienarbeit in Innsbruck, Kirchbichl, Landeck, Reutte, Schwaz und Osttirol. Seit März 2024 übernehmen Lisa Canal und Magdalena Fuchs gemeinsam die pädagogische Leitung der Standorte in Nordtirol. In Osttirol ist seit 2016 Egon Wibmer pädagogischer Leiter.
- Die rund 30 Mitarbeiter*innen arbeiten großteils vor Ort mit den betroffenen Familien. Sie sind ausgebildete Fachkräfte: Psychotherapeut*innen, Psycholog*innen, Erziehungswissenschaftler*innen, Sozialarbeiter*innen und Sozialpädagog*innen.
- Die Familienberater*innen arbeiten allein oder - wenn die Komplexität des Familiensystems oder der Themen/Probleme es erfordern - auch zu zweit mit der Familie.
- Im Jahr 2023 wurden in Tirol 481 Kinder und ihre Familien unterstützt.