Ist die Wissenschaft nicht in der Pflicht, Szenarien aufzuzeigen, die Betroffenheit in allen Bevölkerungsgruppen schaffen?
Natürlich. Aber die große Schwierigkeit besteht darin, den Lebensstil, die Werte und Einstellungen von Menschen verschiedener Generationen zu beeinflussen. Dies gilt umso mehr, wenn dem die eigene Lebenserfahrung entgehen steht. Viele ältere Menschen haben ja noch den Krieg beziehungsweise die Nachkriegszeit und damit auch echten Mangel erlebt. Jüngere Menschen können leicht sagen: Ich brauche ja nicht jeden Tag Fleisch. Aber für die ältere Generation ist es eine Errungenschaft, sich das leisten zu können. Verzicht hat einen anderen Stellenwert, wenn man aus dem Mangel kommt. Problematisch ist natürlich auch, dass es noch immer politische Vertreterinnen und Vertreter gibt, die eine effektive Klimapolitik für nicht notwendig erachten und damit zur Verunsicherung in der Bevölkerung wesentlich beitragen.
Was nehmen Sie sich für Ihre wissenschaftliche Arbeit aus der Corona-Krise mit?
Auf jeden Fall, wie wichtig die Freiraum-Versorgung der städtischen Bevölkerung ist. Ich glaube, dass so manchen Stadtplanern die Augen aufgegangen sind. Viele Städte haben ja während der Corona-Krise mit Straßensperren oder Begegnungszonen öffentlich zugänglichen Raum geschaffen, insbesondere für Kinder. Warum kann man nicht generell an Feiertagen oder Wochenenden bestimmte Straßen sperren und damit die Lebensqualität in der Stadt erhöhen? Und ich glaube, viele von uns haben mehr über die Bedeutung von Naherholung gelernt. Diese Natursehnsucht ist jetzt ganz überwältigend spürbar, manche Ausflugsdestinationen werden ja regelrecht überrannt. Was ich mir auch wünschen würde ist, dass insbesondere Familien darüber nachdenken, was sie brauchen, um sich zu erholen. Muss es wirklich eine Fernreise mit fünf oder sechs Stunden Flug sein? Oder reicht nicht Kindern auch ein Urlaub mit kurzer Anreise in einer vertrauteren Umwelt? Wenn wir uns das vor Augen führen, könnte Corona tatsächlich nachhaltig positive Folgen für das Klima haben.
Univ.-Prof. Dr. Ulrike Pröbstl-Haider ist Professorin für Erholung und Tourismus am Institut für Landschaftsentwicklung, Erholungs- und Naturschutzplanung der Universität für Bodenkultur Wien.