Weltflüchtlingstag

10 Jahre nach der großen Fluchtbewegung

10 Jahre nachdem die große Flüchtlingsbewegung nach Europa viele Probleme im Asylsystem sichtbar gemacht hat, hat die Politik immer noch keine Lösungen parat. Nach wie vor sind geflüchtete Kinder und Jugendliche gegenüber anderen Kindern in Österreich schlechter gestellt. Bei SOS-Kinderdorf versuchen wir andere Wege zu gehen und echte Chancen zu eröffnen. 

 

Ankommen in einem fremden Land

Im Jahr 2015, also vor mittlerweile 10 Jahren, erlebte Europa eine der größten Fluchtbewegungen seit dem Zweiten Weltkrieg. In Österreich wurden rund 88.340 Asylanträge gestellt, davon waren 8.277 Anträge von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen (UMF).

Für SOS-Kinderdorf war klar: Wir möchten helfen und diesen Kindern und Jugendlichen ein gutes Ankommen in Österreich ermöglichen. In den folgenden Monaten wurde eine ganze Reihe neuer Betreuungsplätze für unbegleitete geflüchteten Kinder und Jugendliche geschaffen. Zu den Spitzenzeiten fanden bei SOS-Kinderdorf rund 300 geflüchteten Kinder und Jugendliche ein neues Zuhause, in erster Linie in Wohngruppen, aber auch im Betreuten Wohnen oder in Gastfamilien.

 

SOS-Kinderdorf Betreuuer mit jungen Geflüchteten. 

Was Flüchtlingskinder brauchen

Kinder sind in Situationen von Krieg und Flucht besonders schutzbedürftig. Traumatische Erlebnisse sind für sie besonders prekär, denn sie befinden sich mitten in ihrer Entwicklung. Und die macht keine Pause. Deshalb brauchen sie besonderen Schutz und Fürsorge. Es ist ihr Recht und unsere Pflicht, dass sie kindgerechte Hilfe und Unterstützung bekommen, ganz egal, wo sie geboren wurden.

Um die traumatisierenden Erlebnisse von Krieg und Flucht verarbeiten zu können und Schritt für Schritt in eine selbstbestimmte Zukunft zu gehen, brauchen die jungen Menschen neben einer individuellen Begleitung vor allen Dingen Zeit und ein kindgerechtes Umfeld.

Und selbst unter guten Voraussetzungen wird der Weg für viele dieser jungen Menschen ein schwieriger bleiben. SOS-Kinderdorf hat immer Wert daraufgelegt, den Kinderrechten entsprechende Betreuungsplätze zu schaffen. Das heißt, kleine Wohngruppen statt Großquartieren, eine sinnvolle Tagesstruktur, Deutschkurse, Bildungsperspektiven, Integration in die österreichische Bevölkerung.

So wie jedes Kind, das nicht bei seinen Eltern leben kann, brauchen auch unbegleitete minderjährige Flüchtlinge familienähnliche Strukturen, uneingeschränkten Zugang zu Bildung und eine echte Chance auf eine bessere Zukunft.

Kinder spielen in einem SOS-Kinderdorf Familiencafe.

Unsere Forderung: Obsorge ab dem 1. Tag

Kinder, die ohne ihre Eltern oder andere erwachsene Bezugspersonen nach Österreich kommen, haben bereits in sehr jungen Jahren unfassbares Leid erfahren. Haben sie dann endlich ein sicheres Zielland erreicht, ist das zur Ruhe kommen schwer. Je nach Alter durchlaufen sie in den ersten Wochen in Österreich unterschiedlichste Stellen und Einrichtungen, meist völlig erschöpft, überfordert von den neuen Herausforderungen und weitgehend noch immer auf sich alleine gestellt.

Seit Jahren weisen SOS-Kinderdorf und zahlreiche andere Hilfsorganisationen darauf hin, dass dieser Zustand inakzeptabel und kinderrechtswidrig ist. Nun gibt es erstmalig zumindest eine Absichtsbekundung der neuen Regierung, eine Obsorgeübernahme der Kinder- und Jugendhilfe „ab Tag eins in Österreich“ umzusetzen. Der Handlungsbedarf ist jedenfalls gegeben.

 

 


Es geht darum Kinder so rasch wie möglich nach dem Ankommen zu stabilisieren und herauszufinden, was sie für eine Akutversorgung brauchen.

Birgit Schatz
Kinderrechtsbeauftrage SOS-Kinderdorf

 

Die Versorgung der Kinder müsse rasch, von kompetenten Personen mit entsprechender Dolmetschunterstützung abgewickelt werden, damit so bald wie möglich ein Beziehungsaufbau mit betreuenden Personen gestartet werden kann. Weil es das ist, was diese Kinder dringend und rasch brauchen – stabile Beziehungen zu Menschen, denen sie lernen zu vertrauen. So kann es gelingen auch nach traumatischen Erlebnissen eine gute Perspektive für diese Kinder zu entwickeln.

Kinder haben ein Recht auf uneingeschränkten Zugang zu Bildung und eine echte Chance auf eine bessere Zukunft.

 

Klar ist, dass wenn es  rasch zu so einem Beziehungsaufbau kommt,  verhindert wird, dass unzählige alleine geflohene Kinder einfach von einem Tag auf den anderen aus den Grundversorgungsquartieren wieder verschwinden. Wir wissen nicht, ob sie Opfer von Kinderhandel sind, von Schleppern abgeholt wurden oder alleine weiter gezogen sind. Jedenfalls begeben sie sich wieder in gefährliche Situationen. Und das gilt es unbedingt zu verhindern. 

Vom Ankommen und Aufblühen

Anas ist einer der Jugendlichen, die bei SOS-Kinderdorf Zuflucht gefunden haben. Als der Krieg in Syrien ausbrach, war Anas acht Jahre alt. „Ich hatte eine schöne Kindheit, aber dann war ich kein Kind mehr“, erzählt er. „Die Lage wurde durch den Krieg und den IS immer instabiler. Wir verloren alles, unser Haus wurde bombardiert, ich hatte Splitter im Bein, aber ich hatte nicht wirklich Angst. Wenn man jeden Tag die gleichen Geräusche hört – Hubschrauber, Jets, Panzer, Schüsse – gewöhnt man sich daran.“ 

2015 trat er die gefährliche Reise nach Europa an: „Ich dachte mir: Es ist immer noch besser als in Syrien. Dort ist nicht garantiert, dass man am nächsten Tag noch aufwacht.“

Anas kam 2015 mit nur 11 Jahren allein nach Österreich. Heute lebt er mit seiner Familie in Innsbruck. 

In Tirol wurde er im BIWAK, einer Wohngruppe von SOS-Kinderdorf, aufgenommen, wo er zwei Jahre lebte und den Halt fand, den er brauchte. Er besuchte die Handelsakademie und absolvierte eine Ausbildung zum Krankenpfleger und Dolmetscher.  Heute lebt er mit seinen Eltern und Geschwistern in Innsbruck. „Ich bin dankbar für die Unterstützung, die ich bekommen habe. Ohne sie wäre ich heute nicht da, wo ich bin.“

Flüchtlingsarbeit von SOS-Kinderdorf heute

Heute leben etwa 100 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge bei SOS-Kinderdorf in Österreich. Davon ist etwa ein Drittel unter 14 Jahren. Sie leben in WGs, Gastfamilien oder in betreuten Wohnungen. In Wien konnten im letzten Jahr in Zusammenarbeit mit der Wiener Kinder- und Jugendhilfe zwei WGs gegründet werden, in denen Kinder mit und ohne Fluchthintergrund zusammenleben -  zu den gleichen Standards wie in anderen WGs der KJH. Ein wichtiges Zeichen und Vorbild für andere Bundesländer.

SOS-Kinderdorf begleitet junge Geflüchtete bis zur Volljährigkeit und darüber hinaus über die Anlaufstellen für ehemals Betreute.

Die Bedürfnisse von Kindern sind ungeachtet der Herkunft immer dieselben: Sicherheit, Versorgung, Perspektiven, Zugehörigkeit, Förderung.

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