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„Es gibt nur die Wahl zwischen Protest und Tod“

Anja Windl hat sich bei Protesten der Letzten Generation auf Straßen und Flughäfen geklebt. Dafür wurde sie, insbesondere vom Boulevard, zur „Klima-Shakira“ gemacht und in den öffentlichen Fokus gerückt – und ist im Gefängnis gelandet. Dennoch bereut sie nicht, was sie getan hat „und wohl noch machen“ werde. Denn auch wenn die Katastrophe ihrer Meinung nach unaufhaltsam ist, lohnt es sich immer, zu kämpfen.

Interview: Matthias Köb
 

 

Anja, deine erste Teilnahme an einer Aktion der Letzten Generation liegt mittlerweile knapp zwei Jahre zurück. Wie erinnerst du dich daran?
Ich war unfassbar gestresst. Ich bin eigentlich kein besonders konfrontativer Mensch. Und dann bist du plötzlich in einer Situation, in der du angeschrien und angehupt wirst. Auch die Polizei war damals komplett überfordert.

Die Teilnahme an Straßenblockaden endete für mehrere Mitglieder der Letzten Generation mit hohen Geldstrafen. Anja Windl trat Anfang des Sommers eine Ersatzhaftstrafe an und muss bald wieder ins Gefängnis.

Dennoch wurdest du  – auch durch die Berichterstattung in den Boulevardmedien – zum „Gesicht“ der Letzten Generation in Österreich.
Auch in Deutschland sind die bekannten Leute primär junge Frauen. Das liegt daran, dass das mediale Narrativ von der hysterischen Frau natürlich im Hinblick auf die Klimakatastrophe besonders gut zieht. Und man kann damit gleich mal ganz viel Kompetenz „wegschreiben“.

War es eine bewusste Entscheidung, diese Rolle dennoch anzunehmen?
Ich habe versucht, das opportunistisch zu sehen und das Beste draus zu machen. Trotzdem ist es einer der wenigen Punkte, wo ich nicht weiß, ob ich das noch mal machen würde. Medienaufmerksamkeit ist zwar ein Privileg, denn es bedeutet, dass meine Stimme mehr gehört wird als jene von anderen. Gleichzeitig ist es auch belastend. Auch die ganzen Diskussionsrunden haben mich nicht kalt gelassen. Wenn du jedes Mal wieder mit dieser Gleichgültigkeit konfrontiert wirst – nach manchen Diskussionsrunden bin ich heulend daheim gesessen. Wie kann es sein, dass wir darüber diskutieren, ob wir überleben wollen oder nicht?

Durch deine Position warst und bist du eine Zielscheibe für Hass und Drohungen – nicht nur in sozialen Netzwerken. Wie geht man damit um?
Ich meide Veranstaltungen mit vielen betrunkenen Menschen. Es gibt Tage, an denen ich gar nicht aus dem Haus gehe. Ich werde teilweise auf der Straße angeschrien, obwohl ich überhaupt nichts mache. Ich geh’ nur über die Straße. Was mir hilft, ist mein Freund*innenkreis. Zudem hatten wir nach jeder Aktion Feedbackrunden und eine Arbeitsgruppe mit professionellen Therapeut*innen, die sich um emotionalen Support gekümmert haben. Das ist wichtig, denn die Situation ist belastend. Du gibst so viel auf, kriegst dafür Hass, und der Outcome fühlt sich manchmal auch nicht wahnsinnig groß an.

"Resignation und Ohnmacht sind nie die Lösung", sagt Anja Windl und möchte ihren Protest weiterführen.

Kritik gab es auch von Menschen, die euch in der Sache prinzipiell recht geben, aber mit den Methoden nicht einverstanden sind.
Die Letzte Generation hat sich nicht gegründet, um beliebt zu sein. Es ist aber auch klar: Beim zivilen Widerstand muss die Eskalationsstufe zwangsläufig nach oben gedreht werden. Wenn du dich immer auf dem gleichen Level bewegst, funktioniert das nicht. Man muss Methoden finden, mit denen die Störung größer wird: Durch längere Protestphasen, durch höhere Personenanzahl oder dadurch, dass man keinen normalen Kleber mehr benutzt, sondern Sandkleber. Oder dass man nicht mehr nur auf normalen Straßen protestiert, sondern auf Flughäfen. 

Im Sommer hat die Letzte Generation bekannt gegeben, dass sie ihre Aktionen in Österreich einstellt. Wie kam es zu dem Entschluss?
Das war eine strategische Entscheidung: Wo kommen wir auf diesem Weg noch hin? Können wir politisch noch gewinnen? Und da muss man sagen: Es hat keinen Sinn mehr gemacht. Wir haben erreicht, was wir erreichen konnten. Wir haben die Aufmerksamkeit auf die Katastrophe gelegt und man ist nicht daran vorbeigekommen. Und ja, ich finde es wahnsinnig schade, dass sich nicht mehr Leute dazu entschlossen haben, mit uns auf die Straße zu gehen. Wir sind in einer dermaßen katastrophalen Lage, dass sich eigentlich niemand aus der Verantwortung ziehen kann.

Wir sind in einer dermaßen katastrophalen Lage, dass sich eigentlich niemand aus der Verantwortung ziehen kann.

Anja Windl
 

Woran ist das gescheitert?
Wenn ich einen einzelnen Faktor ausmachen könnte, dann hätten wir an der Schraube gedreht, damit das anders läuft. Aber ich finde, das ist auch eine komische Verantwortungsübertragung, dass manche jetzt sagen: Die Letzte Generation hat es nicht geschafft! Für alle, die es noch nicht bemerkt haben: Das Thema betrifft nicht nur uns. Ihr sitzt im selben Boot. 

Du bist für die Teilnahme an Straßenblockaden zu einer Geldstrafe verurteilt worden und warst Anfang Sommer als Ersatzhaftstrafe für sechs Wochen im Gefängnis. Im Jänner erwartet dich das erneut. Für viele ist das Riskieren der eigenen Freiheit eine Grenze, die sie nicht überschreiten wollen.
Es ist nicht so, dass ich die Wahl habe zwischen einer sicheren Zukunft und Protest. Wenn der Golfstrom kippt, schaut es auch in Europa zappenduster aus. Die sichere Zukunft gibt es nicht und daher gibt es nur die Wahl zwischen Protest und Tod. Hätte ich mir mein Leben anders vorgestellt? Ja. Bereue ich irgendwas von dem, was ich gemacht habe und wohl noch machen werde? Nein. Und die Haftbedingungen in Österreich sind zwar auch zäh, es ist jetzt nicht supergeil, aber es ist schon überstehbar.

In einem Interview mit der „Kleinen Zeitung“ sagst du: „Die Katastrophe ist nicht mehr aufzuhalten.“ Wofür lohnt es sich dann noch zu kämpfen?
Die Zukunft wird beschissen werden. Jetzt geht es darum, um den letzten Funken Menschlichkeit zu kämpfen. Klimakatastrophe, Biodiversitätskollaps, Ressourcenknappheit – da wird es gesellschaftliche Verwerfungen geben. Schon jetzt werden an der griechischen Küste Menschen gefesselt und über Bord geworden. Wenn wir uns vorstellen, dass zwei bis drei Milliarden Menschen bis zum Ende des Jahrhunderts in Todeszonen leben und wir auf der anderen Seite eine Abschottungspolitik haben, wie sie derzeit gerade überall im Kommen ist …! Ich will nicht widerstandslos danebenstehen, wenn an den Stränden reihenweise Menschen erschossen werden. Auch wenn die Welt im Chaos versinkt, müssen wir dafür kämpfen, dass das einigermaßen geregelt abläuft.

Was gibt dir Hoffnung?
Wir haben zuhause einen Esel und ein Schaf. Wenn mir die Decke auf den Kopf fällt, fahr’ ich heim und hab’ da einen kleinen Streichelzoo. Und was mir am allermeisten hilft, ist Protest. Wenn du mit Menschen zusammen bist, die sich auflehnen gegen die Art und Weise, wie wir immer weitermachen, dann gibt dir das wahnsinnig viel Hoffnung. Du merkst, es sind nicht alle so. Denn das absolut Wichtigste ist: Resignation und Ohnmacht sind nie die Lösung. Egal, wie beschissen es gerade aussieht. 

Die Letzte Generation

Die Letzte Generation Österreich verstand sich als Bewegung des (friedlichen) zivilen Widerstands gegen die Klimakatastrophe und die „Untätigkeit der Politik“. Besondere Aufmerksamkeit erreichten sie durch Blockaden, bei denen sich die Mitglieder auf der Straße festklebten. Im Sommer 2024 gab die Letzte Generation das Ende der Proteste und der Organisation bekannt. Die Mitglieder wollen aber weiterhin im Widerstand bleiben.

 

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