Das Magazin von SOS-Kinderdorf

„Nur darüber reden hilft halt nicht“

Als Skirennläufer holte Felix Neureuther fünf Medaillen bei Weltmeisterschaften und 13 Weltcup-Siege. Er ist der erfolgreichste männliche Skifahrer Deutschlands. Seit seinem Karriere-Ende 2019 hat er sich einer neuen Aufgabe verschrieben: Er will Kindern Freude an Sport und Bewegung vermitteln. Im Interview spricht er über sein Konzept „Beweg dich schlau!“, den Wettbewerbsnachteil von Sport gegenüber Handyspielen und das Überwinden des inneren Schweinehunds.

Interview: Matthias Köb
 

 

Herr Neureuther, mit der Felix-Neureuther-Stiftung setzen Sie sich für die Förderung von Bewegung insbesondere bei Kindern ein – warum ist Ihnen das ein Anliegen?
Ich bin extrem dankbar für meine Karriere als Skirennläufer. Ich habe da wahnsinnig viel erlebt. Damit meine ich nicht die Pokale und Wettkampferfolge, sondern die Menschen, denen ich begegnet bin, und die tollen gemeinsamen Momente, die wir erlebt haben. Durch den Sport habe ich viel für mein Leben mitgenommen, wichtige Werte verinnerlicht und viel Unterstützung erfahren. All das möchte ich mit meiner Stiftung zurückgeben. Das Leuchten in den Augen der Kinder ist das ehrlichste und das schönste Leuchten. Wir haben gerade so viele Probleme auf der Welt. Wenn Kinderaugen leuchten, gibt mir das so viel Hoffnung, denn die Kids sind die Zukunft. Wir haben die Verpflichtung, uns um die Zukunft zu kümmern, sodass die nächsten Generationen gut aufgestellt sind. Das Leuchten in ihren Augen gibt mir persönlich ganz viel Motivation für die nächsten Jahre.

Mit dem Bewegungskonzept seiner Stiftung will Neureuther Kinder dort abholen, wo sie gerade stehen.

Gab es einen konkreten Auslöser oder Moment, der Sie dazu gebracht hat, zu sagen: Ich will mich engagieren!
Es ist einfach absolut notwendig. Und nur darüber reden hilft halt nicht. Aktuell bewegen sich Kinder viel zu wenig. Das hat gravierende negative Folgen: Haltungsschäden, Übergewicht und chronische Krankheiten. Es ist extrem wichtig, sich von klein auf ausreichend und vielseitig zu bewegen. Sport trägt nicht nur zur physischen Gesundheit bei, sondern auch zur mentalen Ausgeglichenheit, Aufnahmefähigkeit und kognitiven Leistungsfähigkeit. Das hilft beim Lernen und in der Schule und auch überall sonst im Alltag.
 

Ihr Konzept nennt sich „Beweg dich schlau! mit Felix Neureuther“. Können Sie es kurz erklären?
Bewegung fördert Körper und Geist. Durch komplexe Bewegungsabläufe wird die Konzentration gefördert und es entstehen neue Vernetzungen im Gehirn. Ich mache auch selbst heute noch regelmäßig koordinative und kognitive Übungen – die übrigens viel mehr Spaß machen als Liegestütze und Planks. Basierend auf meinen Erfahrungen und gemeinsam mit der TU München haben wir „Beweg dich schlau!“ entwickelt. Wie der Name schon sagt, geht es um spielerische Bewegungsübungen, die Kopf und Körper gleichzeitig aktivieren. Durch altersentsprechende Wahrnehmungs- und Bewegungsimpulse wird die motorische, kognitive und emotional-soziale Entwicklung gefördert. Die Digitalisierung nutzen wir auch: Es gibt lustige Videos mit unserem Maskottchen Fauli, einem Faultier, das mir und den Kids die Übungen erklärt und vormacht. Die kann man sich in der Schule oder zuhause angucken und gleich mit der ganzen Familie mitmachen. 

„Kids sind unsere Zukunft“, sagt Felix Neureuther. Und es sei unsere Verpflichtung, uns um die Zukunft zu kümmern.

Stichwort Digitalisierung: Diese wird oft als Ursache für mangelnde Bewegung genannt. Ist sie das Problem?
Wir können die Digitalisierung ja nicht ignorieren, sie ist nun mal da. In der Tat ist es für die Kinder leichter, nach dem Handy zu greifen, als sich die Sportschuhe anzuziehen und rauszugehen. Wenn sie zocken, kriegen sie einen Energiekick, weil sie ein Level geschafft haben. Das bekommen sie beim Sport auch, da dauert es aber in der Regel länger, bis sie ein Zufriedenheitsgefühl haben. Deshalb ist „Beweg dich schlau!“ darauf ausgelegt, dass sie bei einer Übung schnell ein Erfolgserlebnis haben. Und zwar jedes Kind. Mir ist wichtig, dass wir jedes Kind da abholen, wo es gerade steht – egal ob total fit, ganz am Anfang, mit Übergewicht oder bei Schwierigkeiten mit dem Gleichgewicht. Denn nur wenn es Spaß macht, bleibt man ein Leben lang dabei.

Bei Erfolgserlebnissen denkt man meist an das Überwinden von Grenzen oder besser sein als andere. 
Das geht auch ohne Wettkampf. Es kann auch einfach die Schönheit der Natur sein, die frische Luft nach einem Regen im Wald, der Geschwindigkeitsrausch auf der Skipiste oder die gemeinsame Zeit mit Freund*innen. Aber auch das müssen wir Eltern vorleben. Meine Eltern hat es nach einem Wettkampf nur am Rande interessiert, ob ich auf dem Podium stand oder einen Pokal mitgebracht habe. Ihre ersten Fragen an mich waren immer: „Bist du gesund? Ist alles gut? Hattest du eine schöne Zeit?“

Ihre Eltern waren Spitzensportler*innen, ein Umfeld, das die wenigsten Kinder haben. Wenn Eltern selbst nicht so den Zugang zum Thema Sport haben: Wie gelingt es dennoch, den Kindern Freude an Sport und Bewegung zu vermitteln?
Es muss ja nicht Hochleistungssport sein. Wichtig ist, dass die Eltern mit den Kindern rausgehen. Ein Spaziergang in der Natur, bisschen kicken im Park oder ein Picknick am See mit Frisbeespielen. Natürlich müssen wir Eltern uns auch selbst an die Nase fassen und mit gutem Beispiel vorangehen. Wir können nichts von den Kindern erwarten, was wir selbst nicht machen. Das bedeutet auch, nicht für kurze Wege das Auto zu nehmen, sondern lieber mal gemeinsam mit dem Rad fahren.

Wenn keiner sagt, was ihn stört, brauchen wir uns auch nicht wundern, wenn sich nichts ändert.

Felix Neureuther
 

Viele Menschen sagen, dass sie sich nach dem Sport besser fühlen – schaffen es aber dennoch oft nicht, den inneren Schweinehund zu überwinden. Kennen Sie das?
Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, ich bin immer hochmotiviert und muss mich nie aufraffen. Aber gerade dann ist es umso wichtiger, dass ich etwas mache, das mir auch Spaß macht. Viele Menschen gehen laufen, weil das alle tun, dabei hängt da gar nicht ihr Herz dran. Ich rate immer: Sucht euch einen Sport aus, der euch wirklich Freude macht. Sucht euch Freund*innen, mit denen ihr euch fix für den Sport verabredet, und fangt sanft an – so, dass ihr danach Lust habt, das noch einmal zu machen. Wenn ihr zu krass einsteigt, ist die Hürde, sich das nächste Mal aufzuraffen, vielleicht zu hoch und ihr lasst es wieder bleiben.

„Etwas bewegen“ wird ja auch synonym für „etwas bewirken“ verwendet. Sie sind bekannt dafür, sich öffentlich auch kritisch zu äußern. Ist es Ihnen wichtig, Ihre Bekanntheit zu nutzen, um auf Dinge aufmerksam zu machen?
Auf jeden Fall. Wenn ich meine Bekanntheit dazu nutzen kann, auf Missstände aufmerksam zu machen oder etwas Gutes zu bewirken, dann mache ich das. Genau deshalb habe ich auch meine Stiftung gegründet.

 Oftmals äußern sich Sportler*innen zu Themen abseits des Sports eher „diplomatisch“. Sollten Sportler*innen ihre Bekanntheit stärker nutzen?
Letztendlich muss das jeder für sich entscheiden. Aber wenn keiner sagt, was ihn stört, und keiner den Mund aufmacht, dann brauchen wir uns auch nicht wundern, wenn sich nichts ändert. 

 

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