Blick nach vorne
Fast ein Jahr lang hat Tristan zuletzt im Fitnessstudio gearbeitet, bevor er eine Pause eingelegt hat, um sich voll und ganz auf die Matura zu konzentrieren. Im Herbst möchte er das Bachelorstudium Sportwissenschaften beginnen und wieder nebenbei arbeiten. Danach könnte der 19-Jährige sich vorstellen noch einen Master anzuhängen oder Physiotherapie zu studieren. Schon in den nächsten Jahren hat er viel vor: Er möchte sich als Trainer selbstständig machen, andere beraten und sein Studio gründen.
Wenn Lehrkräfte ihn und seine Mitschüler*innen nach ihren Zukunftsplänen fragen, zeigen sich deutliche Unterschiede. Er ist der Einzige, der schon einen Fünf-bis-Zehn-Jahresplan im Kopf hat: „Darüber denke ich schon häufig nach. Viele hätten mir das wahrscheinlich nicht zugetraut. Gleichzeitig denke ich, dass ich auch zielstrebiger sein muss als andere in meinem Alter, um meine Träume zu verwirklichen.“
Früher sei Tristan in der Schule sehr zurückhaltend gewesen, habe wenig gesprochen. „Gerade als alles neu war – neue Schule und der Umzug in die WG – hat es schon gedauert, bis ich mich zurechtgefunden habe und die Vergangenheit hinter mir lassen konnte“, sagt er rückblickend. Über die Jahre habe er aber gute Freund*innen in seiner neuen Umgebung gefunden: „Ich bin mehr aus mir rausgegangen, habe ihnen gezeigt, wie ich lebe und wie ich mir meine Ziele setze. Ich würde schon sagen, dass sich manche meine Denkweise ein bisschen abgeschaut haben. Umgekehrt habe ich genauso viel von ihnen mitgenommen.“
Kein Ende in Sicht
Das Gefühl erwachsen zu werden, sei ihm zum ersten Mal kurz vor seinem 18. Geburtstag gekommen: „Bei dem Gedanken daran, bin ich richtig nervös geworden. Obwohl ich schon fast zwei Jahre allein gewohnt habe, hatte ich Angst vor den neuen Verpflichtungen, die auf mich zukommen würden.“ Diese Sorgen habe ihm Mugi aber ziemlich schnell wieder ausgetrieben: „Ich habe ihm versichert, dass alles genauso weitergeht wie bisher.“
Bis zum 21. Geburtstag kann die Betreuung zwischen SOS-Kinderdorf und einem jungen Erwachsenen unter bestimmten Bedingungen aufrecht bleiben. Sobald die finanzielle Unterstützung der Kinder- und Jugendhilfe für Tristan wegfällt, wird er sich eine günstigere Wohnung suchen müssen. An der Beziehung zwischen Mugi und ihm wird aber das Ende der offiziellen Betreuung und ein weiterer Umzug nicht viel ändern – da sind sich beide sicher. „Selbst wenn ich es wollen würde, sie würde nie gehen“, sagt der 19-Jährige lachend. Ebenso ist sich Mugi sicher, dass Tristan seine Ziele erreichen wird.
„Er kann alles schaffen, was er sich vornimmt. Das sage ich ihm auch immer wieder. Wenn er mich fragt, warum ich das glaube, werfe ich die Frage zurück: ‚Hast du denn einen Grund, es nicht zu schaffen?‘“, sagt die Pädagogin. „Mein Erfolg hängt von ihm ab und seiner von mir. Am Ende sind seine Träume also auch meine Träume.”