BIWAK

Ein Haus, viele Geschichten: 20 Jahre Schutz und Zuversicht

Im BIWAK in Hall finden Kinder und Jugendliche seit 20 Jahren ein Zuhause auf Zeit, werden altersgerecht betreut und bei ihrer Integration unterstützt. Über 200 junge Menschen aus über 30 verschiedenen Nationen wurden über die Jahre auf einem Stück ihres Weges begleitet – bewegende Momente gab es viele.

Jubiläumsfest 20 Jahre

Beim Jubiläumsfest im Garten des BIWAK wurde dieser Meilenstein am Freitag gemeinsam mit den Jugendlichen, Mitarbeitenden, ehemalig Betreuten, sowie Kooperationspartner*innen und Unterstützer*innen gefeiert. Es gab Live-Musik, Tischfußballturniere und viel leckeres Essen.

Am 1. November 2004 startete SOS-Kinderdorf mit der Wohngruppe BIWAK das erste Projekt für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Tirol. Seit Bestehen hat sich das BIWAK stark weiterentwickelt und konnte in eine offizielle Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung umgewandelt werden (seit Oktober 2021). So ist es möglich für alle jungen Menschen eine kindgerechte, individuelle Betreuung sicherzustellen – unabhängig von der Herkunft. "Wir freuen uns sehr, dass wir gemeinsam mit dem Land Tirol diesen wichtigen Schritt in Richtung Gleichstellung meistern konnten. Jedes Kind ist unabhängig von der Herkunft gleich viel wert und sollte die gleichen Chancen sowie die gleiche Qualität der Betreuung erhalten", so Wolfram Brugger, SOS-Kinderdorfleiter in Innsbruck.

Wolfram Brugger (SOS-Kinderdorfleiter in Innsbruck), Annette Edenberger (Sozialpädagogin), Maria Haider (Pädagogische Leiterin im BIWAK)

Mehr als ein Dach über dem Kopf

Aufgrund der langjährigen Expertise liegt der Schwerpunkt im BIWAK auf der Betreuung von Kindern und Jugendlichen mit Flucht- und Migrationsgeschichte. "Das BIWAK bietet den jungen Menschen viel mehr als nur ein Dach über dem Kopf. Bei uns gibt es kleine Einheiten, gut ausgebildete Pädagoginnen und Pädagogen und individuelle Betreuung und Förderung", so Brugger. In der sozialpädagogischen Wohngemeinschaft des BIWAK werden neun Kinder und Jugendlichen zwischen 13 und 18 Jahren rund um die Uhr von Pädagog*innen betreut. Die Pädagog*innen unterstützen die jungen Menschen bei der Integration – dem Erlernen der deutschen Sprache, dem Schulbesuch und der Ausbildung sowie der Freizeitgestaltung –, und bei der Entwicklung von neuen Lebensperspektiven.

Wahdat (links) und Omeran (rechts) sind zum Jubiläumsfest gekommen, um gemeinsam zu feiern. Sie wurden beide im BIWAK unterstützt und haben sich nun ein eigenes Leben aufgebaut.

Ankommen im luftleeren Raum

Fast 5000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge haben im vergangenen Jahr Schutz in Österreich beantragt. Krieg und Terror im Heimatland und der schwere Fluchtweg nach Österreich sind für Kinder besonders herausfordernd. Fast alle bringen einen Rucksack traumatischer Erfahrungen mit und finden nach langer, oft gefährlicher Flucht hier zum ersten Mal Schutz und Sicherheit, Ruhe und Halt.

Maria Haider

Wenn Kinder und Jugendliche allein nach Österreich kommen, sind sie erst mal im luftleeren Raum. Sie wissen nicht, wie es mit dem Asylverfahren weitergeht und was die nächsten Jahre mit sich bringen. Sie sind orientierungslos - sie haben hier niemanden

Maria Haider

"Umso wichtiger ist es, ihnen zu vermitteln, dass sie nicht auf sich allein gestellt sind. Unsere Pädagoginnen und Pädagogen sind enge Bezugspersonen der Kinder und Jugendlichen und können professionell mit den Auswirkungen von Traumata umgehen. Sie sind für sie da, hören zu und nehmen ihre Sorgen ernst."

Die Pädagog*innen stehen den Jugendlichen bei allen Fragen zur Seite – egal ob zu Gesundheit, Ausbildung oder zum Asylverfahren. Zusätzlich hat jede*r Jugendliche eine*n Bezugsbetreuer*in, der*die als enge Vertrauensperson immer zur Verfügung steht, zu Terminen begleitet oder gemeinsame Ausflüge macht. Annette Edenberger arbeitet schon 20 Jahre im BIWAK in Hall. Sie hat bereits fünf Monate nach der Gründung als Sozialpädagogin in der Einrichtung angefangen.

 

Ich würde mir wünschen, dass diese Angst vor dem Fremden verschwindet. Den Menschen muss bewusst werden, dass niemand aus freien Stücken aus der Heimat flieht.

Annette Edenberger

Schritt für Schritt ins eigenständige Leben

Um die jungen Menschen schrittweise in ihrer Eigenverantwortung zu stärken und in ein selbstbestimmtes Leben zu begleiten, stehen neben der Wohngruppe auch eigene "Trainingswohnungen" (Betreutes Wohnen) zur Verfügung: Zwei davon befinden sich im BIWAK (Betreutes Innenwohnen), weitere Wohngemeinschaften sowie Garconnieren außerhalb der Einrichtung (Betreute Außenwohnen) bieten aktuell Platz für 10 Jugendliche. Hier werden den Jugendlichen Fähigkeiten für den selbstständigen Alltag vermittelt – von der Haushaltführung bis zur finanziellen Absicherung. Dieses Angebot ist besonders wichtig, um die Brücke zum Erwachsenwerden zu schlagen und den Jugendlichen auch über das 18. Lebensjahr hinaus Halt zu geben.

Maria Haider

Wir können von unzähligen Erfolgsgeschichten berichten und sind wahnsinnig stolz auf unsere Jugendlichen! Aktuell haben wieder einige unserer Jugendlichen den BFI Pflichtschulabschluss erfolgreich absolviert.

Maria Haider

Einer davon ist der ehemalig betreute Jugendliche – inzwischen junger Erwachsene – Omeran. Er hatte zuerst selbst nicht daran geglaubt, dass er den Schulabschluss schafft. "Wir sind gemeinsam drangeblieben und jetzt sind wir sehr stolz auf ihn, dass er nicht aufgegeben hat!", erzählt Haider.

Auch Wahdat wurde im BIWAK betreut. Inzwischen hat der 21-Jährige sich ein eigenes Leben in Linz aufgebaut. "Ich möchte mich bei allen Betreuern und Betreuerinnen aus dem BIWAK bedanken, die mir sehr geholfen haben. Und auch meiner Betreuerin in Oberösterreich Sarah Graf möchte ich danke sagen. Anfangs war es schwierig für mich in Österreich die Sprache zu lernen und die Kultur zu verstehen. Doch inzwischen bin ich gut angekommen, habe mir ein Leben aufgebaut und arbeite als Einzelhandelskauffmann."
 

  • Wahdat ist mit 13 Jahren von Afghanistan nach Österreich geflüchtet. "Es berührt uns zutiefst, wenn wir miterleben können, wie junge Menschen, ungeachtet ihrer herausfordernden Vergangenheit, mutig und entschlossen bleiben und einen positiven Weg einschlagen", betont Haider.

Integration ist eine Chance für uns alle

Maria Haiders größter Wunsch seit ihrem Praktikum im BIWAK im Jahr 2016, war es, dort als Pädagogin zu arbeiten. Inzwischen begleitet sie schon seit sechs Jahren junge Geflüchtete auf einem Stück ihres Weges – immer wieder wird sie mit Vorurteilen konfrontiert.

Am häufigsten hört man, Flüchtlinge seien faul und sie würden den Staat finanziell belasten, wären nicht integrationswillig. Tatsächlich erleben wir genau das Gegenteil. Die Jugendlichen sind motiviert. Sie gehen gern in die Schule, in die Deutschkurse und möchten so rasch wie möglich in den Arbeitsmarkt integriert werden

Maria Haider

 

Wolfram Brugger ergänzt: "Wir wünschen uns mehr Bewusstsein und Verständnis von der Gesellschaft dafür, dass diese jungen Menschen eine Bereicherung darstellen und aktiv zur positiven Entwicklung unserer Gemeinschaft beitragen. Ihre Integration ist nicht nur ein Gewinn für sie selbst, sondern auch eine Chance für uns alle, gemeinsam eine vielfältige und starke Gesellschaft aufzubauen."

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