­SOS-Lebenswege

„Ich möchte jungen Müttern Mut machen“

Nach zahlreichen Schicksalsschlägen und zuletzt der Diagnose Krebs, zieht Sabrina 2023 mit ihrem Sohn ins Eltern-Kind-Wohnen. Eine Situation, die für die Mutter und das SOS-Kinderdorf herausfordernd war. Heute ist Sabrina in ihrem neuen Zuhause angekommen.

Wir haben Sabrina in ihrem neuen Zuhause im Eltern-Kind-Wohnen getroffen. Im Video erzählt sie von ihrer Geschichte.

Es ist ein regnerischer grauer Herbsttag als wir Sabrina und ihre Bezugsbetreuerin Ama in einem österreichischen SOS-Kinderdorf antreffen. Gemeinsam öffnen sie uns die Tür zum Eltern-Kind-Wohnen – oder wie es im SOS-Kinderdorf genannt wird EKIWO – und strahlen uns herzlich entgegen. Als erstes wird in der Gemeinschaftsküche Kaffee gekocht, geplaudert und vor allem viel gelacht. Die positive Energie ist spürbar und ansteckend, und dass obwohl Sabrina, die seit Anfang 2023 im EKIWO wohnt, viele schwere Herausforderungen durchlebt hat und immer noch durchlebt. „Den ganzen Sommer war ich in der Klinik, musste operiert werden und zuletzt erwischte mich auch noch eine Blutvergiftung, das war wirklich kritisch.“  

 

Sabrina (rechts) gemeinsam mit ihrer Bezugsbetreuerin Ama. Ama unterstützt Sabrina im Alltag, begleitet sie zu Arztterminen und bespricht mit ihr Themen, die sie beschäftigen. 
 

„Ich hatte Angst, dass ich mich nicht um meinen Sohn kümmern kann“

Sabrina ist an Brustkrebs erkrankt. Kurz bevor sie ins EKIWO eingezogen ist, hat sie die alles-verändernde Diagnose bekommen. Von da an geht es in ihrem Leben um eines: Ums Überleben. Doch Sabrina macht sich vor allem Sorgen um ihren 9 Jahre alten Sohn. „Ich hatte Angst, dass ich mich nicht ordnungsgemäß um meinen Sohn kümmern kann. Man liegt natürlich viel im Bett, man hat viele Termine, ist immer wieder krank und abgeschlagen. Der Kleine muss aber zur Schule, braucht Unterstützung bei den Hausaufgaben, eine anständige Mahlzeit und und und. Es gab so viele Momente, wo ich dachte, ich schaffe das alles nicht mehr.“

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Auch für Sabrinas Sohn war die Situation anfangs eine Herausforderung. Inzwischen haben sich die beiden gut in ihrem neuen Zuhause eingelebt. 

 

Es ist die nächste Belastung – der nächste Schlag ins Gesicht – in einer Reihe von schweren Schicksalsschlägen in der Vergangenheit der jungen Mutter. Zwei ihrer Kinder hat die heute 34-Jährige bei einem tragischen Unfall verloren – ein traumatisches Erlebnis, das sie niemals vergessen kann. Es folgten familiäre Probleme, finanzielle Schwierigkeiten und ein Burnout. „Wie soll man dieses Gefühl beschreiben… Ich hatte Angst, alles zu verlieren“, Sabrina atmet tief ein. „Und als ich dann Anfang 2023 die Krebs-Diagnose bekommen habe, habe ich all‘ meinen Mut zusammengefasst und mir Hilfe geholt.“ Sabrinas Sozialarbeiterin rät ihr damals gemeinsam mit ihrem Sohn ins EKIWO zu ziehen.

 

Ich hatte Angst, alles zu verlieren und als ich dann die Krebs-Diagnose bekommen habe, habe ich all‘ meinen Mut zusammengefasst und mir Hilfe geholt.“

Sabrina
alleinerziehende Mutter

 

„Es war eine komplett neue Situation für uns“

Im Eltern-Kind-Wohnen ziehen ganze Familien – also Kinder gemeinsam mit ihren Eltern oder einem Elternteil – in eine Wohnung von SOS-Kinderdorf. Dort werden sie von Pädagog*innen für bis zu zwei Jahren betreut, begleitet und gestärkt. So soll es gelingen, dass die Familien zusammenbleiben und langfristig wieder ein eigenständiges Leben führen können. Meistens teilen sich zwei Familien ein Haus, wo die Küche gemeinsam genutzt wird. Doch in Sabrinas Fall merkte man schnell, dass es anders ablaufen muss. 

 

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Vertrauen ist ein wichtiger Aspekt in der Betreuung: Sabrina, Bezugsbetreuerin Ama und die pädagogische Leiterin vom Eltern-Kind-Wohnen, Andrea Worsch, sind immer im engen Austausch.

 

„Es war eine komplett neue Situation für uns. Wir haben festgestellt, dass Sabrina in ihrem Gesundheitszustand nicht mit einer anderen Familie zusammenwohnen kann, wo auch mal Kinder krank werden und viele Viren im Umlauf sind“, erklärt Sozialpädagogin Ama, die seit Tag 1 an Sabrinas Seite ist. „Wir haben uns dann zusammengesetzt und nach Lösungen gesucht. In kurzer Zeit konnten wir auf die Beine stellen, dass Sabrina separiert – quasi in Quarantäne – wohnen kann. Eine Zeit lang hat ihr Sohn auch einen Notfall-Knopf bekommen, mit dem er uns gleich rufen konnte, wenn es der Mama nicht gut ging. Und er wird zusätzlich in einer anderen Wohngruppe mitbetreut, wo er nach der Schule hingeht zum Hausübungen machen, wenn Sabrina nach der Chemotherapie zu wenig Kraft dafür hat.“ Doch das ist noch nicht alles - die Liste geht weiter: Für den 9-Jährigen wurde eine spezialisierte Trauer-Begleitung durch Pädagog*innen von RAINBOWS organisiert, damit auch er in dieser emotional belastenden Situation unterstützt wird und über seine Gefühle sprechen kann. „Ich denke, so passgenau haben wir noch nie etwas gemacht – wir haben wirklich gut auf diese Situation reagiert und viele neue Lösungen gefunden.“

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Eine Kämpfernatur mit viel Humor

Es gibt nur wenige Glücksmomente im letzten Jahr für Sabrina, ihr Alltag wird von Krankenhausaufenthalten beherrscht und sie muss sich in ihrem neuen Umfeld im EKIWO erst zurechtfinden. Trotzdem ist während unserem Gespräch eine Leichtigkeit zu spüren. Immer wieder lockert sie die Situation mit einem Witz auf. Sabrina ist eine echte Kämpferin. Eine Eigenschaft der alleinerziehenden Mutter, die Ama bereits gut kennt: „Ich bewundere, dass sie so fest kämpft, dass sie so stark ist, dass sie ihren Humor immer noch behalten hat und dass sie, egal was kommt, wieder aufsteht und weitermacht.“ Seit ihrem Einzug hat sich zwischen Sabrina und Ama eine starke Bindung aufgebaut. Gemeinsam bestreiten sie den Alltag, gehen zu Arztterminen, führen zahlreiche Gespräche und machen einen Finanzplan. „Es hat sich Vertrauen entwickelt und eigentlich, kann man sagen, dass eine Freundschaft daraus geworden ist, weil ich mit ihr einfach über alles reden kann, ohne Angst zu haben, dass man irgendwie verurteilt wird“, erzählt Sabrina.

 

 

Es hat sich Vertrauen entwickelt und eigentlich, kann man sagen, dass eine Freundschaft daraus geworden ist, weil ich mit ihr einfach über alles reden kann, ohne Angst zu haben, dass man irgendwie verurteilt wird.

Sabrina
Eltern-Kind-Wohnen

 

Es ist keine Schande, sich Hilfe zu holen

Es ist 16:00 Uhr, Sabrinas Sohn kommt von der Schule nach Hause und seine Mutter schließt ihn zur Begrüßung fest in die Arme. Der 9-Jährige plaudert gleich los, erzählt seiner Mutter von seinem Tag, die beiden spazieren Hand in Hand zum Spielplatz. Das Leben im EKIWO hat sich für die kleine Familie eingependelt, sie sind nun voll und ganz angekommen. „Es ist unser Zuhause, man kann sagen, wir sind daheim. Mein Bub hat einen guten Freund gefunden, mit dem er gern spielt, er blüht auf und ich habe das Gefühl, er kann mit meiner Erkrankung mittlerweile gut umgehen.“ Sabrina nutzt ihre Freizeit aktuell, um ein Buch zu schreiben, sie möchte ihre Erlebnisse zu Papier bringen und vor allem eines damit bewirken: anderen Müttern Mut machen. „Ich möchte vermitteln, dass es keine Schande ist, wenn man sich Hilfe holt. Es sollte normal sein, sich beim Jugendamt zu melden und um Hilfe zu bitten. Natürlich ist es eine Herausforderung sich einzugestehen, dass man nicht alles alleine schafft, aber es ist wirklich in Ordnung. Und ich habe nur positive Erfahrungen gemacht.“ Für die Zukunft wünscht sich Sabrina gesund zu werden, wieder auf eigenen Beinen zu stehen und mit ihrem Sohn zusammen in eine Wohnung zu ziehen.

 

 
Andrea Worsch

„Es ist wichtig, dass Familien wissen: Es gibt Hilfe und Hilfe anzunehmen ist eine Stärke, keine Schwäche. Wir wollen Schutz und Sicherheit bieten, um Kindern ein Wachsen und Gedeihen zu ermöglichen.“

Andrea Worsch

Damit Familien nicht auseinanderbrechen...
Präventionsarbeit bei SOS-Kinderdorf

 

  • Eltern-Kind-Wohnen

Im Rahmen des Eltern-Kind-Wohnen ziehen ganze Familien – also Kinder gemeinsam mit ihren Eltern oder einem Elternteil – in eine Wohnung von SOS-Kinderdorf. Dort werden sie von einem Team an Pädagog*innen und Familenberater*innen für einen Zeitraum von bis zu zwei Jahren betreut, begleitet und gestärkt. Dadurch werden die Familien entlastet und bekommen Unterstützung bei ihren Herausforderungen im Alltag. So soll es gelingen, dass die Familie zusammenbleiben und langfristig wieder ein eigenständiges Leben führen kann und die Kinder nicht von ihren Eltern getrennt werden müssen. Nach zirka zwei Jahren wird im Optimalfall die Betreuung der Familie schrittweise beendet und die Familie gestärkt in ein eigenständiges Leben geführt.

2022 wurden in Österreich rund 120 Kinder gemeinsam mit ihren Familien im Eltern-Kind-Wohnen betreut und unterstützt.

 

  • Mobile Familienarbeit

Die Betreuung ist meist für einen Zeitraum von bis zu zwei Jahren geplant. Während dieser Zeit besuchen die Familienberater*innen von SOS-Kinderdorf zwei- bis dreimal pro Woche die Familien zuhause und begleiten auch bei Outdoor-Aktivitäten. Es gibt Termine gemeinsam mit den Kindern und Termine mit den Erwachsenen, wo es auch viel Platz für Dinge gibt, die die Eltern beschäftigen. Gemeinsam mit den Familien werden Fähigkeiten und neue Lösungsstrategien erarbeitet, die in Zukunft von den Eltern selbst angewendet werden können, um ihren Handlungsspielraum zu erweitern und um mit krisenhaften Situationen besser umzugehen.

2022 wurden in Österreich 1.589 junge Menschen gemeinsam mit ihren Familien mobil betreut und unterstützt.

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