Corona Krise – 26.05.20

Psychische Belastung bei Kindern und Jugendlichen hoch!

Rat auf Draht zieht eine besorgniserregende Corona-Bilanz. Die Politik ist dringend gefordert.

Kinder und Jugendliche haben die letzten Monate als sehr belastend erlebt. Bei Rat auf Draht stehen seit Wochen die Telefone nicht mehr still. Die Helpline ist für viele die einzige Möglichkeit, rasch Hilfe zu bekommen.


Viele Anruferinnen und Anrufer sagen, sie hätten sonst niemanden zum Reden.

Birgit Satke
Leiterin Rat auf Draht

In der Corona-Zeit sind die Beratungen bei den KollegInnen unter der Notrufnummer 147 um mehr als ein Drittel angestiegen. Im Chat-Bereich – der ausgebaut wurde – stieg die Zahl der Beratungen um 82 Prozent.

Dabei zeigte sich eine besorgniserregende Entwicklung: Fragen zur psychischen und physischen Gesundheit sind im Themen-Ranking sehr weit oben, während klassische Teenager-Sorgen wie erste Liebe, Streit mit Freunden oder Taschengeld zusehends in den Hintergrund rücken. Haben sich vor der Corona-Krise im Schnitt täglich 3 Jugendliche mit psychischen Erkrankungen gemeldet, sind es derzeit 8.

DIE ERGEBNISSE IM DETAIL

  • ANGST: Plus   220 Prozent
  • SCHLAFPROBLEME: Plus  240 Prozent
  • ANFRAGEN ZU PSYCHISCHEN ERKRANKUNGEN wie Panikattacken, Depressionen, Borderline: Plus  146 Prozent
  • SUIZIDGEDANKEN: Plus  54 Prozent
  • AUTOAGGRESSION: Plus  54 Prozent
  • PSYCHISCHE GEWALT IN DER FAMILIE: Plus  380 Prozent
  • PHYSISCHE GEWALT IN DER FAMILIE: Plus  88 Prozent
  • KONFLIKTE ZWISCHEN ELTERN, DIE KINDER BELASTEN: Plus  205 Prozent

(Vergleichszeitraum: April 2019)

 

Der Druck muss raus

Bereits vor Corona waren 88 Prozent der Familien unter Druck. Da liegt es auf der Hand, dass die Situation für viele Menschen während der Corona-Zeit noch schwieriger geworden ist. Auch der Bedarf nach Unterstützung wird weiter steigen.


Kinder, Jugendliche und ihre Familien zu entlasten muss nun oberste Priorität haben. Hier gilt es, die Regierung in die Verantwortung zu nehmen und etwa eine bessere Gesundheitsversorgung für Kinder und Jugendliche sowie entlastende Maßnahmen für Familien, die ja bereits im Regierungsprogramm festgeschrieben wurden, zügig umzusetzen und unter den gegebenen Umständen auch vorzuziehen

Katrin Grabner
Kinderrechtsexpertin SOS-Kinderdorf

 

Tele-Therapie als Chance

Die Erfahrungen der letzten Wochen in unseren Ambulatorien für Kinder- und Jugendpsychiatrie haben gezeigt, dass telefonische Therapieformen bzw. Therapie mittels Videochat gerade von Jugendlichen sehr gut angenommen wurden. Hier sehen wir die Chance, einen unterversorgten Gesundheitsbereich rascher zu entlasten, insbesondere im ländlichen Raum. Dazu müssen diese Therapieformen aber auch zu abrechenbaren Kassenleistungen werden.

Schon vor der Corona-Zeit fehlten in Österreich ca. 70.000 kassenfinanzierte Therapieplätze für Kinder und Jugendliche. In manchen Bundesländern gibt es keinen einzigen Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie mit Kassenvertrag. Diesem Engpass muss man dringend entgegenwirken und zusätzliche kassenfinanzierte Angebote schaffen.

 

Kinderarmut bekämpfen

Manche bekannte kinderpolitische Baustellen haben sich in der Corona-Krise noch verschärft: Ungleichheiten haben sich weiter verfestigt. Kinder aus armutsgefährdeten Familien sind zusätzlich unter Druck geraten.

Viele Kinder und Jugendliche machen sich Sorgen über die berufliche Situation ihrer Eltern. Es zeigt sich einmal mehr, dass Kinderarmut immer noch einer der größten Risikofaktoren für die Gesundheit von Kindern ist.

 

Unterstützungssysteme und Präventionsangebote

Damit Familien mit den zusätzlichen Belastungen nicht allein gelassen werden und Kinder gesund aufwachsen können, braucht es mehr als kurzfristige finanzielle Entlastung, erklärt unsere Expertin:

"Die Regierung muss dringend ihren Versprechungen nachkommen und langfristig dafür sorgen, dass sich der Druck auf Familien reduziert. Unterstützungssysteme wie die Schule und die Kinder- und Jugendhilfe müssen dazu mit den notwendigen Mitteln ausgestatten werden, um Problemlagen rechtzeitig entgegenwirken zu können. Außerdem braucht es dringend mehr Investitionen in Präventivmaßnahmen, wie etwa den Ausbau der Frühen Hilfen oder Elternbildungsangebote im Rahmen eines neuen Eltern-Kind-Passes."