Die Ergebnisse der Studie
"Sexuelle Belästigung und Gewalt im Internet in den Lebenswelten der 11 bis 18-Jährigen"
SOS-Kinderdorf und Rat auf Draht haben das Institut für Jugendkulturforschung beauftragt, erstmals österreichweit Daten zu sexueller Belästigung und Gewalt bei Kindern und Jugendlichen im Internet zu erheben und eine repräsentative Befragung unter 400 Kindern und Jugendlichen im Alter von 11 bis 18 Jahren durchzuführen. Mit 6 Jugendlichen wurden Tiefeninterviews geführt.
Das Vertrauen missbraucht
Oder Online-Bekanntschaften werden zu falschen Freunden: 27 % aller Kinder und Jugendlichen zwischen 11 und 18 Jahren haben mindestens schon einmal sexuelle Belästigung im Internet erlebt.
Besorgniserregend ist, dass Mädchen mit 40 % dreimal häufiger betroffen sind als Burschen.
Die Erlebnisse reichen von unangenehmen sexuellen Fragen bis hin zu eindeutigem sexuellen Missbrauch. Sehr häufig werden Nacktfotos oder –videos ungewünscht an Kinder und Jugendliche geschickt oder diese aufgefordert welche von sich selbst zu schicken.
Erpressung
Knapp über 10% der Befragten wurden auch schon einmal erpresst, z.B. indem ihnen angedroht wurde, dass Nacktfotos oder intime Details aus Chatkontakten an Eltern oder Freunde geschickt werden, wenn sie keine weiteren Nacktfotos schicken, Geld überweisen oder zu einem persönlichen Treffen kommen.
Cyber-Grooming
Erfahrungen mit Cyber-Grooming (die verbotene Online-Anbahnung von Sexualkontakten mit Kindern und Jugendlichen) haben mindestens schon 14 % aller 11 bis 18-Jährigen gemacht. Bei den Mädchen liegt der Anteil bei 22 %. Der Großteil der sexuellen Belästigung passiert durch unbekannte Personen bzw. Personen, die die Kindern und Jugendlichen nur online kennen und deutlich älter sind als sie.
Tiefeninterviews
In den Tiefeninterviews, die zusätzlich zur quantitativen Erhebung geführt wurden, erzählte eine heute 17-Jährige über ihre Erfahrungen als 12-Jährige: Ältere Männer haben regelmäßig vor ihr im Chat masturbiert und der 12-Jährigen dabei zugesehen, wie sie sich selbst vor der Kamera befriedig hat. Nun fürchtet sie sich, dass diese Videos auftauchen könnten.
Sexuelle Belästigung ist "Normalität" für junge Menschen
Sexuelle Belästigung und Übergriffe, die online passieren, werden von Jugendlichen als "normal" bewertet. "Zum Teil haben sich die Betroffenen damit abgefunden", sagt Kohout. "Sie fühlen sich ohnmächtig und glauben, dass nichts dagegen gemacht werden kann."
"Ich bin selbst Schuld!"
So sehen es einige Befragte auch als sinnlos, sich an Vertrauenspersonen zu wenden. Die Kinder und Jugendlichen geben oft nicht den TäterInnen die Schuld, sondern sehen sich selbst mitverantwortlich, wenn sie online sexuell belästigt werden, weil sie beispielsweise Fotos posten, die laut ihnen freizügig wirken.
Strategien zum Schutz vor Übergriffen
Jugendliche entwickeln selbst unterschiedliche Strategien, um mit sexuellen Übergriffen im Internet umzugehen oder sie zu vermeiden. Vor allem den Seitenbetreiberfunktionen wird eine wichtige Rolle zugeschrieben. Über die Hälfte der Befragten (52 %) wenden die Blockier- sowie Sperrfunktion der Seitenbetreiber an und ein Viertel der Befragten meldet die Person dem Seitenbetreiber.
Das Entlarven von "Fake-Profilen" wird ebenfalls als wichtig empfunden. Die jungen Menschen überlegen auch genau, welche Informationen und Fotos sie an Unbekannt weitergeben.
Treffen mit Online-Freunden
Sich mit Online-Bekanntschaften zu treffen, ist für viele normal. Es gibt allerdings Bewusstsein dafür, dass man Vorsichtsmaßnahmen ergreifen soll, um sich zu schützen. Eine Befragte erzählt: "Ich treffe die Leute beim ersten Mal immer an öffentlichen Orten, ich will zu niemandem nach Hause gehen." Trotzdem machen die Jugendlichen auch schlechte Erfahrungen.
"Die Strategien zum Schutz vor Übergriffen verlangen den jungen Menschen viel ab", betont Kohout. Sie schützen zwar in gewissem Maße, lassen sich aber nicht als Allheilmittel begreifen. Zu unangenehmen Erfahrungen kommt es dennoch.
Großer Aufklärungsbedarf
Die Ergebnisse der Erhebung zeigen, dass es einen großen Aufklärungsbedarf gibt. Lediglich 32 % der Befragten wurden schon einmal über die Gefahren vor sexueller Belästigung im Internet oder Cyber-Grooming informiert. Der Großteil der Befragten wünscht sich, dass Kinder und Jugendliche mehr über sexuelle Belästigung im Internet informiert und gewarnt werden.
Erste Erfahrungen mit 14 Jahren
Die Aufklärung soll am besten in der Schule stattfinden und das schon möglichst am Ende der Volksschule. "Dafür sprechen auch ganz deutlich die Zahlen, über die ersten Erfahrungen mit sexueller Belästigung", so Kohout. "45 % sind bei ihrer ersten Erfahrung unter 14 Jahre alt."
Neben der Schule wünscht man sich Aufklärung vor allem durch die Eltern. Die Studienergebnisse zeigen, dass Kinder sehr frei ohne Einschränkungen das Internet nutzen können. Über 60 % der 11 – 18-Jährigen haben keinerlei Einschränkungen bei der Internetnutzung. "Eher gibt es noch bei den Jüngeren Regeln", erklärt Kohout. "Dabei handelt es sich meistens um eine Einschränkung der Nutzungsdauer, teilweise auch eine Beschränkung auf bestimmte Apps."
Strafbarkeit: Kaum Wissen über Gesetzeslage
Rechtlich ist die Lage in Österreich eindeutig. Zum Beispiel bei Cyber-Grooming: Wer Kinder unter 14 Jahren dazu auffordert, pornografische Fotos von sich zu schicken, sich vor der Webcam auszuziehen, oder wer sich mit der Absicht des sexuellen Missbrauchs zu einem Treffen zu überreden versucht, dem drohen bis zu zwei Jahre Haft. Jedoch wissen 56 % der Befragten nicht, dass Cyber-Grooming strafbar ist. Nur die wenigsten der Befragten (8 %) gehen zur Polizei bzw. zeigen die Person an, wenn sie im Internet sexuell Belästigt wurden.
Hier können Sie den umfangreichen Gesamtbericht als pdf-Dokument downloaden:
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