Interview Alia Al-Dalli

Trotz des fast sechsjährigen Bürgerkriegs geben die Menschen in Syrien die Hoffnung nicht auf. Sie wollen ihr Leben zurück. Ein Interview mit Alia Al-Dalli, Leiterin der SOS-Kinderdörfer in Nahost über die Situation der Kinder und Erwachsenen.

Können Sie uns die aktuelle humanitäre Situation in Syrien beschreiben?

Auch wenn sich durch die Waffenruhe die Lage etwas verbessert hat, ist Syrien leider noch weit von Frieden und Stabilität entfernt. Millionen leiden, da es ihnen an Nahrung, Medikamenten, sauberem Wasser und warmer Kleidung fehlt.
Darunter befinden sich sehr viele Kinder, teilweise auch Kinder die ihre Eltern verloren haben. Sie kennen nichts anderes als Krieg, Angst und Verlust. Deshalb ist es extrem wichtig, dass die Betreuung dieser Kinder oberste Priorität hat.
 
Alia Al-Dalli, Leiterin der SOS-Kinderdörfer in Nahost
 

Von den Kindern in Syrien wird oft auch als „verlorenen Generation“ gesprochen?

Fast 4 Millionen Kinder wurden geboren, seit der Krieg vor 6 Jahren ausbrach. Für sie ist der Krieg zum Dauerzustand geworden. Gewalt und Angst gehören für sie zum täglichen Leben.
Viele haben noch nie eine Schule besucht und einige von ihnen haben Eltern, Geschwister oder Freunde verloren. Ohne Unterstützung, Bildung und Sicherheit werden diese Kinder zu einer verlorenen Generation heranwachsen, anfällig für Gewalt, Depressionen und den Einfluss von Extremisten. Dem entgegenzuwirken, mittels psychologischer Betreuung und Schulbildung, wird eine große Herausforderung für die Zukunft.
 

Wie schwer fällt es den Menschen, nach 6 Jahren Krieg, die Hoffnung nicht zu verlieren?

Die Menschen in Syrien geben die Hoffnung nicht auf. Obwohl sie großes Leid erfahren mussten, sind sie nicht bereit ihr Leben aufzugeben - ganz im Gegenteil - sie haben einen starken Willen sich Stück für Stück wieder eine Zukunft aufzubauen.
 

Was können Hilfsorganisationen wie SOS-Kinderdorf in erreichen?

Dank dem mutigen Einsatz unserer Mitarbeiter vor Ort werden die Menschen in Aleppo und anderen Teilen Syriens mit Wasser und Nahrung versorgt sowie medizinisch und psychologisch behandelt.
Zudem helfen die Mitarbeiter bei dem Aufbau und der Einrichtung von Schulen und Notfall-Kindergärten. Leider reichen die Anstrengungen der wenigen verbliebenen Hilfsorganisationen in Syrien nicht aus.
Um den unzähligen Familien, die ihr Zuhause und ihre Lebensgrundlage verloren haben, helfen zu können, braucht es die gesamte Weltgemeinschaft. Besonders die Betreuung von traumatisierten Kindern erfordert spezialisierte Pflege, Stabilität und vor allem Liebe. Der Wiederaufbau des Landes und die Heilung der Traumata der Menschen werden noch Jahre in Anspruch nehmen.
 

Wie ist der Status des SOS-Kinderdorfs in Aleppo?

Das SOS-Kinderdorf in Aleppo eröffnete 1998. Aufgrund der schweren Kämpfe musste das Dorf im September 2012 evakuiert werden. Mehr als 60 Kinder wurden in das am Stadtrand von Damaskus gelegene SOS-Kinderdorf verlegt. Um das Kinderdorf in Aleppo wieder eröffnen zu können, müssen wir sicherstellen, dass die Kinder und Familien sicher sind und Zugang zu Schulen, Gesundheitsversorgung und anderen Dienstleistungen haben. Das ist momentan leider undenkbar. Die Sicherheitslage in Aleppo ist auch ein großes Problem für die HelferInnen, die sich täglich in Lebensgefahr begeben.


Wenn Sie einen Wunsch für Syrien frei hätten, was würden Sie sich wünschen?

Frieden! Ein friedliches Land, in dem Kinder gemeinsam mit ihren Familien in Sicherheit aufwachsen können und einfach ihre Kindheit unbeschwert genießen können.