­SOS-Lebenswege

„Ein Leben fern der Heimat aufbauen“

Nasehullah ist mit 15 Jahren aus Afghanistan geflüchtet. Über ein Jahr lang war er unterwegs und musste auf der Flucht schlimme Erfahrungen machen. Inzwischen ist er in seiner neuen Heimat in Vorarlberg voll und ganz angekommen.

Herzkiste_Caldonazzo_23_Walter Anyanwu
Nasehullah kurz vor Weihnachten in Vorarlberg. Er hat nun schon zum vierten Mal Weihnachten mit SOS-Kinderdorf gefeiert. 

 

Ausgestattet mit einer Tasche, zwei Hosen und ein paar T-Shirts verlässt Nasehullah mit nur 15 Jahren sein Heimatland Afghanistan. Er ist einer von vielen minderjährigen Flüchtlingen, die komplett auf sich allein gestellt flüchten müssen, denn zu groß ist die Gefahr im eigenen Land. Rund 5000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge stellten 2023 in Österreich einen Antrag auf Asyl, rund 160 davon sind unter 14 Jahre alt. Jugendliche, die ohne ihre Familie oder enge Bezugspersonen vor Krieg und Konflikten fliehen, sind besonders hohen Risiken ausgesetzt, die mitunter tiefe seelische Wunden hinterlassen können.

 

Auch Nasehullah musste auf der Flucht Erfahrungen sammeln, die ihn langfristig prägten. „Das war wirklich schwer. Wir hatten kein Essen und mussten uns immer in den Bergen aufhalten.“ Dreimal hat er versucht über die bulgarische Grenze zu kommen. Dort stößt er auf Widerstand, erlebt Gewalt. „Die Polizei dort ist ziemlich brutal vorgegangen. Sie haben mich mehrmals geschlagen“, erzählt der heute 19-Jährige im Interview mit der VN. Über ein Jahr lang ist er unterwegs, durchquert sechs Länder, um schließlich nach Österreich zu gelangen. 

Nasehullah

„Das war wirklich schwer. Wir hatten kein Essen und mussten uns immer in den Bergen aufhalten.“

Nasehullah

Wiedervereint in Vorarlberg

Nach der ersten Station im Großquartier in Traiskirchen, kommt Nasehullah vor vier Jahren in eine Wohngruppe nach Vorarlberg. Er wünscht sich damals nach Vorarlberg ziehen zu dürfen, da er dort die Chance hat seinen Bruder nach sieben Jahren endlich wieder zu sehen. „Es war das allergrößte für uns, als wir uns endlich in die Arme schließen konnten. Das Gefühl, dass zumindest ein Teil der Familie im gleichen Ort ist, gibt Sicherheit und ist ein Trost. Meine Mutter vermisse ich natürlich trotzdem noch sehr“, erzählt er.

 

 

Nasehullah gemeinsam mit seiner Bezugsbetreuerin Sabine Flatz. Als enge Vertrauenspersonen begleitet sie ihn zu Terminen und bespricht mit ihm Themen, die ihn beschäftigen.  
 

 

Von Anfang an hat Nasehullah das Ziel, in Vorarlberg Fuß zu fassen, die Sprache zu lernen und vor allem eines: den Schulabschluss zu machen. „Ich wollte unbedingt zur Schule gehen. Man hat mir aber gesagt, dass ich nicht mehr schulpflichtig bin“, sagt er gegenüber der VN. „Schließlich habe ich es geschafft, den Direktor der Mittelschule in Dornbirn zu überzeugen. Ich bin sehr dankbar dafür, dass es doch möglich war.“

Das selbstständige Leben trainieren

Schließlich zieht Nasehullah ins Betreute Wohnen von SOS-Kinderdorf. Gemeinsam mit einem Mitbewohner teilt er sich eine eigene Wohnung in Bregenz und trainiert dort das eigenständige Leben. Im Betreuten Wohnen hat jede*r Jugendliche eine primäre Bezugsperson, so kann Vertrauen und eine Beziehung aufgebaut werden. Auch Nasehullah wird regelmäßig von seiner Bezugsbetreuerin Sabine Flatz unterstützt. Sie ist stets an seiner Seite, bespricht mit ihm Themen, wie Finanzen, Haushalt und Ausbildung, begleitet zu Terminen und Behördengängen und hat ein offenes Ohr für Sorgen und Ängste. „Nasehullah hat sich wirklich sehr schnell in seiner neuen Heimat eingelebt. Er spricht fließend Deutsch, hat Freund*innen gefunden, spielt in einem Verein Cricket und macht nun eine Lehre zum Elektriker“, erzählt die Sozialpädagogin.

 

Sabine Flatz

„Ich bin sehr stolz auf Nasehullah und es berührt mich zutiefst, dass er trotz der herausfordernden Vergangenheit, immer mutig und entschlossen geblieben ist und sich ein eigenständiges Leben aufbauen konnte.“

Sabine Flatz

Seit 2016 finden unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aus Krisen- oder Kriegsregionen im Betreuten Wohnen in Vorarlberg professionelle Hilfe und ein neues Zuhause. Über 200 junge Menschen wurden seitdem betreut. Ziel ist es, die Jugendlichen schrittweise in die Selbstständigkeit zu begleiten, bei der Integration zu unterstützen und gemeinsam traumatische Erlebnisse aufzuarbeiten. „Ich bin sehr stolz auf Nasehullah und es berührt mich zutiefst, dass er trotz der herausfordernden Vergangenheit, immer mutig und entschlossen geblieben ist und sich ein eigenständiges Leben aufbauen konnte“, erzählt Sabine Flatz. Auch Nasehullah blickt positiv in seine Zukunft: „Ich bin jetzt im ersten Lehrjahr und die Ausbildung macht mir Spaß. Ich kann mir auf jeden Fall vorstellen, danach als Elektriker zu arbeiten.“

 

 

„Weihnachten gehört für mich einfach dazu“

Vier Jahre lebt der 19-Jährige nun schon in Vorarlberg. Zuletzt macht er bei einem Filmprojekt der Villa K. mit, bei dem es darum geht, Vorurteile gegenüber Geflüchteten aufzubrechen. „Mit den meisten Menschen in Vorarlberg hatte ich positive Begegnungen. An das Klima hier, die Kultur und Feste habe ich mich schon gewöhnt.“ Im SOS-Kinderdorf wird nicht nur der Alltag, sondern auch Freizeitaktivitäten und Feiertage gemeinsam gestaltet. „In Afghanistan feiern wir nicht Weihnachten, aber hier habe ich bereits vier Mal Weihnachten mit den Betreuer*innen von SOS-Kinderdorf und den anderen Jugendlichen gefeiert, das gehört für mich auch zu meinem neuen Leben dazu. Ich mag alle Religionen und akzeptiere sie. Man kann sagen ich bin angekommen.“

 

Hier geht es zum Artikel in der VN.

Junge Menschen in die Selbstständigkeit begleiten

 

  • Betreutes Wohnen

Um jungen Menschen den Übergang in ein selbständiges Leben zu erleichtern, gibt es österreichweit das Betreute Wohnen. In angemieteten Wohnungen werden junge Menschen ab 15 Jahren schrittweise in ihrer Eigenverantwortung gestärkt und in die Selbständigkeit begleitet. Dabei werden sie von Pädagog*innen, die mehrmals pro Woche vorbeikommen, unterstützt und begleitet.

  • Sicherer Hafen für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge

Seit 2016 finden auch unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aus Krisen- oder Kriegsregionen im Betreuten Wohnen in Vorarlberg professionelle Hilfe. Über 200 geflüchtete Jugendliche haben seitdem im SOS-Kinderdorf in Vorarlberg ein neues Zuhause gefunden.

  • Ziele der Betreuung

Wichtige Themen in der Betreuung sind Schule, Berufsschule, Ausbildung, Behördengänge, Verträge, Finanzen, Alltagsbewältigung, Sprachkenntnisse und das Zusammenleben mit Nachbarn. Das Betreuungsziel ist die Verselbstständigung der Jugendlichen und die soziale Integration.

 

Weitere Artikel