Clearing-house Salzburg – 31.08.21

Zwei Jahrzehnte Friede – Zuhause – Hoffnung.

Als der erste Jugendliche im August 2001 ins Clearing-house nach Salzburg-Aigen kam, standen dort sechs Plätze zur Verfügung. Bis heute über 890 geflüchtete Kinder und Jugendliche in der ersten und inzwischen landesweit auch wieder letzten Einrichtung dieser Art ein Zuhause gefunden.

Vor 20 Jahren startete SOS-Kinderdorf mit dem Clearing-house in Salzburg-Aigen ein österreichweites Pilotprojekt für Kinder auf der Flucht, welche ohne Eltern und Angehörige nach Österreich kommen. Ziel war es, ein sogenanntes "Clearing" durchzuführen, bei dem die künftige Betreuung und der Asylstatus der Minderjährigen abgeklärt werden sollten. Hierbei ging und geht es auch heute noch darum, zu klären, was die jungen Menschen, die teilweise monate- oder sogar jahrelang auf der Flucht sind in medizinischer, psychologischer und rechtlicher Hinsicht benötigen.

Das Festmahl zur Feier des Clearing-house hatte einiges zu bieten. 

 

Vom Pilotprojekt für Österreich zum Leuchtturm für Kinder auf der Flucht

Das Clearing-house sollte ursprünglich eine vorübergehende stationäre kinder- und jugendgerechte Unterbringung sein. Es war klar, dass Kinder und Jugendliche, die auf ihrer Flucht vor Krieg und Terror oft traumatische Erlebnisse hinter sich haben, mehr brauchen, als nur ein Dach über dem Kopf und ein Essen auf dem Teller. Sie brauchen eine altersgerechte Umgebung, eine geordnete Tagesstruktur, Zugang zu Bildung sowie eine Vertrauensperson an ihrer Seite. Dies ermöglicht eine Chance auf ein selbstbestimmtes Leben in einer neuen Heimat. Weil es damals keine geeigneten Nachfolgeeinrichtungen gab und ständig wechselnde Rahmenbedingungen zu Flexibilität und Anpassungsfähigkeit zwangen, wurden aus den anfänglich sechs Plätzen mit der Zeit 50 Plätze. Nach der großen Flüchtlingswelle 2015/2016 und rückläufigen Flüchtlingszahlen sind es heute 38 Plätze für Jungen und Mädchen, die im Clearing-house im ersten und inzwischen auch letzten Angebot dieser Art im gesamten Bundesland Salzburg ein Zuhause auf Zeit finden. Die aktuelle weltpolitische Lage lässt jedoch befürchten, dass der Bedarf noch weiter steigen wird. Diese Plätze verteilen sich auf das Clearing-house und mehrere kleine betreute Wohngruppen in Salzburg. Im Clearing-house leben die Buben und Mädchen in Einzel- und Doppelzimmern, sie werden rund um die Uhr und individuell von pädagogischen Fachkräften betreut. Weitere Plätze stehen im Einzelfall für Notaufnahmen zur Verfügung.

 

Individuelle, altersgerechte Betreuung, umfassende Bildung und attraktive Freizeitangebote

"Jene Kinder, die hier in Österreich stranden, haben ihre Eltern zurückgelassen oder auf ihrem gefährlichen Weg verloren", sagt Wolfgang Arming, SOS-Kinderdorfleiter in Salzburg. "Im Unterschied zu den großen anonymen Auffanglagern finden junge Menschen im Clearing-house einen Ort, an dem sie sich willkommen fühlen können." Ein ausgebildetes Pädagog*innenenteam steht den Buben und Mädchen rund um die Uhr zur Seite. Das Leben im Clearing-house bietet tägliche Deutschkurse und einen geregelten Tagesablauf. Doch eben dieser war in den vergangenen Monaten durch die Pandemie beeinträchtigt und hat die Bewohner*innen und das Team vor große Herausforderungen gestellt.

Die Jugendlichen bedankten sich mit einem beeindruckenden sportlichen Programm beim Team des Clearing-house. 

 

Umweltbewusst statt Lockdown-Frust

"Eine geregelte Tagesstruktur vermittelt den Jugendlichen Stabilität und Sicherheit", erzählt Meline Mazinjan. Sie ist pädagogische Leiterin im Clearing-house. "Durch gemeinsame Freizeitaktivitäten mit dem Betreuungsteam und Gemeinschaftsprojekten mit Salzburger Schulen lernen die jungen Flüchtlinge Land und Leute kennen. Das konnte während der Lockdown-Phasen natürlich nicht stattfinden. So haben wir uns für die Jugendlichen zahlreiche Alternativen überlegt. Ein großes nachhaltiges Gartenprojekt ist beispielsweise entstanden, bei dem die Jugendlichen zu wahren Upcycling-Profis geworden sind." 

Meline Mazinjan ist pädagogische Leiterin im Clearing-house.

 

Auch im künstlerischen Bereich haben sich in den vergangenen Jahren viele bemerkenswerte Projekte entwickelt. Darunter Theaterprojekte, Mal- und Musikworkshops und in jüngster Zeit sogar ein Poetry Projekt mit Texten der jungen Menschen zum Thema Hoffnung. "Für unsere Jubiläumsfeier haben sich die Jugendlichen ganz schön ins Zeug gelegt", erzählt Mazinjan. "Alle sind extrem stolz, bei unserem Fest orientalische Speisen aus Großteils selbstangebautem Biogemüse anbieten zu können. Zudem haben sie im wöchentlichen Musikunterricht ein eigenes Clearing-house Lied komponiert und durch viel Übung an Gitarre, Klavier, Geige und Drumset ein bühnenreifes Clearing-house Orchester gegründet. Außerdem haben sie in einem Akrobatik-Parcour-Projekt eine sportliche Show eingeübt, die sich allemal sehen lassen kann." Künstlerische Aktivitäten helfen den Jungen und Mädchen, die Zeit bis zum Asylbescheid auf sinnvolle Weise zu nutzen und Potenziale zu entfalten.

 

Jedem Kind ein liebevolles und sicheres Zuhause

Die Feier im Clearing-house wurde überschattet durch die jüngsten Ereignisse in Afghanistan. "Viele der hier im Clearing-house betreuten jungen Menschen stammen aus diesem Land, das seit Jahren nicht zur Ruhe kommt", sagt SOS-Kinderdorf Geschäftsführerin Nora Deinhammer und betont, dass es für SOS-Kinderdorf immer selbstverständlich war und ist, junge Menschen, die durch Gewalt und Krieg traumatisiert sind, aufzunehmen und auf einen Weg in eine bessere, friedlichere Zukunft zu begleiten. "Auch jetzt stehen wir auf der Seite der Kinder in Not und fordern ganz klar die Einhaltung der Menschen- und speziell der Kinderrechte sowohl in Afghanistan, als auch für jene Kinder und Jugendlichen, die das Land verlassen auf der dramatischen Suche nach einer besseren, sicheren Zukunft. Denn jedes Kind hat das in den UN-Kinderrechtskonventionen festgeschriebene Recht auf bestmögliche Entwicklung, auf Bildung, auf Familie – das Recht auf Leben", so Deinhammer. 

 

Video: Jugendliche aus dem Clearing-house sprechen über "Hoffnung"

 

 

20 Jahre Friede – Zuhause – Hoffnung in Zahlen

890 geflüchtete Kinder und Jugendliche aus 56 verschiedenen Ländern haben seit der Gründung im SOS-Kinderdorf Clearing-house einen Ort des Ankommens und der Hoffnung gefunden. 89 % davon waren Buben – 11 % Mädchen

Davon 49 % aus Afghanistan, 13 % aus Syrien, jeweils 3 % aus Pakistan und Nigeria, 2 % aus dem Iran und jeweils 1 % aus Gambia, dem Irak und der Mongolei.

38 Jugendlichen finden ein neues Zuhause auf Zeit – 30 wohnen im Clearing-house und 8 leben in betreuten Wohngemeinschaften. Aktuell sind österreichweit 322 junge Flüchtlinge in SOS-Kinderdorf-Betreuung, was nur dank privater Spenden möglich ist. Denn Kinder brauchen altersgerechte Betreuungsangebote in kleinen Wohneinheiten statt in Großquartieren, mit pädagogischem Fachpersonal statt Security Teams und mit dem Fokus auf Integration, Spracherwerb und Bildung statt bloßem Verwahren.