Care Leaver – 28.06.17

Care Leaver als Bildungsverlierer?

Zum Stand des Forschungsprojekts „Bildungschancen und der Einfluss sozialer Kontextbedingungen auf Bildungsbiographien von Care Leavern“

Bei Kindern und Jugendlichen, die in stationären Erziehungshilfemaßnahmen aufwachsen, werden formale Bildungsprozesse bisher kaum thematisiert, obwohl die Hilfeplangestaltung und die Gewährung von Hilfen häufig an formalen Bildungsbestrebungen orientiert sind. Zur Bildungssituation und den Bildungschancen von „Care Leavern“ gibt es in Österreich bisher keine fundierten wissenschaftlichen Erkenntnisse. Vor diesem Hintergrund startete die Alpen-Adria-Universität Klagenfurt im April 2016 das Forschungsprojekt „Bildungschancen und der Einfluss sozialer Kontextbedingungen auf Bildungsbiographien von Care Leavern“, das vom Jubiläumsfonds der Österreichischen Nationalbank, von SOS-Kinderdorf und der Pro Juventute unterstützt wird. Das Projektteam besteht aus Stephan Sting (Projektleitung), Maria Groinig (beide Alpen-Adria-Universität Klagenfurt), Wolfgang Hagleitner und Thomas Maran (beide SOS-Kinderdorf). Mit Hilfe einer quantitativen und einer qualitativen Teilstudie sollen zum ersten Mal träger- und bundesländerübergreifend Daten zur Bildungs- und Lebenssituation von Care Leavern in Österreich gewonnen werden.

Fragebogen-Erhebung als quantitative Teilstudie
Im Rahmen der quantitativen Teilstudie wird untersucht, wie sich Merkmale des Herkunftssystems und der stationären Erziehungshilfe sowie ökonomische, soziale und emotionale Ressourcen auf die Lebenssi­tuation von Care Leavern auswirken, dabei mit besonderem Fokus auf Bildung und Beruf. Die Erhebung der Daten mittels Fragebögen ist inzwischen weitgehend abgeschlossen. Im Zuge der Datenerhebung stellte sich das Gewinnen von TeilnehmerInnen für die Untersuchung als besonders schwierig heraus, da Care Leaver über keine spezifischen institutionellen Wege zugänglich sind. Bei über 2000 ausgesendeten Fragebögen und einem Rücklauf von knapp 150 verwertbaren ausgefüllten Fragebögen, lag die Rücklaufquote bei knapp 8 %. Dennoch zeigen erste Analysen, dass die Daten die Lebenssituation von Menschen aller Bildungs- und Berufsschichten erfassen und damit Rückschlüsse über verschiedene Bildungsbiographien erlauben werden. In der nächsten Phase des Projektes sollen über den Vergleich von Kennwerten zur Lebenssituation der österreichischen Gesamtbevölkerung (EU-SILC) Unterschiede hin­sichtlich der zentralen Aspekte Bildung, Beruf, Gesundheit und Lebenszufriedenheit untersucht werden. So soll herausgearbeitet werden, inwieweit Care Leaver in dieser sensiblen Phase des Übergangs in Bezug auf sozioökonomische Indikatoren benachteiligt sind. In einem zweiten Schritt werden dann Zusammenhänge zwischen den erfassten Lebensbereichen untersucht, um so feststellen zu können, ob und welche Faktoren von Fremdunterbringung oder des Herkunftssystems Bildungsbiographien prägen.

Themenzentrierte Interviews und Netzwerkkarten
In der qualitativen Studie wurden Daten mit Hilfe von themenzentrierten Interviews und Netzwerkkarten erhoben, um vertiefte Einblicke in die Bildungsbiographien der Befragten zu erhalten. Bei der Kontaktaufnahme zu ehemaligen AdressatInnen der Kinder- und Jugendhilfe wurde darauf geachtet, ein Sample mit unterschiedlichsten (bildungs-)biographischen Verläufen zu erreichen, ein Geschlechtergleichgewicht herzustellen und österreichweit Kontakte zu knüpfen. Insgesamt wurden in sieben Bundesländern 23 Interviews mit elf männlichen und zwölf weiblichen TeilnehmerInnen geführt. Im Hinblick auf die Bildungsbiographie konnten sowohl junge Erwachsene mit erfolgreichen Lehr- und Ausbildungsverläufen – bis hin zum Studium – erreicht werden als auch Personen, die keine weiterführenden Schul- oder Berufsausbildungen absolvieren und z. T. in Unterkünften für wohnungslose Menschen leben. Derzeit erfolgt die Analyse des erhobenen Materials mit Hilfe der dokumentarischen Methode. Das Datenmaterial wird daraufhin befragt, in welchem Verhältnis Bildungsbeteiligung und soziale Erfahrungen an der Schnittstelle von Herkunftsfamilie, Fremdunterbringung und Schule stehen. Fokussiert werden auch förderliche und blockierende Momente im biographischen Verlauf, welche die formalen Bildungsorientierungen beeinflussen.

Partizipation von Care Leavern am Forschungsprojekt
Eine Besonderheit des Forschungsvorhabens besteht in der partizipatorischen Ausrichtung. Die Forschungsarbeiten werden von zwei Referenzgruppen mit insgesamt zehn Care Leavern begleitet, die am Prozess der Datenerhebung und -auswertung beratend mitwirken. Neben der Gewinnung wissenschaftlicher Erkenntnisse sollen die Ergebnisse des Projekts Informationen bereitstellen, die bei der Gestaltung unterstützender Maßnahmen für Care Leaver nach der sta­tionären Erziehungshilfe durch Trägerinstitutionen und Politik herangezogen werden können.

Kontakt und Information:

Univ.-Prof. Dipl.-Päd. Dr. Stephan Sting
Telefon +43 (0) 463 2700 1221
Abteilung für Sozial- und Integrationspädagogik
Alpen-Adria-Universität Klagenfurt
Universitätsstraße 65-67 | 9020 Klagenfurt am Wörthersee 
 
Mag.a Susi Zoller-Mathies
Telefon  +43 (0) 512  5918 319
Mobil +43 (0) 676 88144 234
Leitung I Forschung & Entwicklung
Fachbereich Pädagogik SOS-Kinderdorf
Stafflerstraße 10a │ 6020 Innsbruck