Beate Schmitt

57 Jahre, SOS-Kinderdorf-Mutter seit 2006

 

Wann hast du dich entschieden SOS-Kinderdorf-Mutter zu werden?

Ich war erfolgreich in meinem Beruf bei der Deutschen Bahn, aber das hat mich nicht ganz ausgefüllt. Ich wollte eine sinnstiftende Arbeit, die mit Menschen zu tun hat und habe dann für mich beschlossen, dass ich mit Kindern arbeiten und auch mit den Kindern zusammen leben möchte. Diese Entscheidung war ausschlaggebend dafür, mich als SOS-Kinderdorf-Mutter zu bewerben. Ich dachte, das ist ein Beruf, bei dem ich besonders wirksam arbeiten kann. Ich konnte mir nicht vorstellen in einem Kindergarten zu arbeiten und die Kinder dann nach 1-2 Jahren in die Schule zu entlassen, sondern wollte sie über einen längeren Zeitraum begleiten und ihre Entwicklung miterleben.
 

Was macht den Beruf SOS-Kinderdorf-Mutter deiner Meinung nach aus?

Mir ist nicht bekannt, dass es einen vergleichbaren Sozialberuf in Österreich gibt. Ich fühle mich immer in der Mitte zwischen einer Pflegemutter und einer Sozialpädagogin in einer Wohngruppe. Anders als bei einer Pflegemutter bin ich in einem festen Angestelltenverhältnis, mit Gehalt, Urlaubsanspruch und mit einem Team. Ich habe das Gefühl die Kinder gut begleiten zu können, aber dabei nicht alleine zu sein. Der Unterschied zu einer Sozialpädagogin in einer WG ist, dass ich mich hier zuhause fühle. Ich wohne hier mit den Kindern und mache mit ihnen gemeinsam Pläne für die Zukunft. Wir sparen zum Beispiel für einen gemeinsamen Urlaub. Was Kinder sich meiner Meinung nach wünschen ist ganz viel Normalität, dass ich mir ihre Aufführung im Schultheaterstück ansehe zum Beispiel oder dass ich mit ihnen Muffins backe. Obwohl auch andere Pädagoginnen in der SOS-Kinderdorf-Familie arbeiten, bin ich die Hauptbezugsperson. Sie möchten mich überall dabei haben, weil ich hier lebe. Ein weiterer Unterschied zu einer sozialpädagogischen Wohngruppe ist, dass wir unsere Strukturen sehr individuell gestalten können. Ich kann der SOS-Kinderdorf-Familie meinen persönlichen Stempel aufprägen, deshalb ist jede SOS-Kinderdorf-Familie anders.
 

Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit den leiblichen Familien der Kinder?

Für die Kinder ist der Kontakt zu den leiblichen Eltern sehr wichtig. Wenn man das Kind in den Fokus stellt kommt man auch gar nicht um ein gutes Verhältnis zu den Eltern herum, weil sie ein wichtiger Teil in deren Leben sind. Bei uns ist es so, dass die Eltern alle drei bis vier Wochen zu einem Besuchskontakt kommen. Auch die Großeltern kommen regelmäßig. Unser Großer fährt einmal im Monat übers Wochenende zu Besuch zu seiner Familie. Wir schauen bei jedem Kind individuell was die Eltern leisten können und was für die Kinder gut ist. Die Jugendlichen können auch selbst entscheiden wie viel Kontakt sie möchten, wenn sie älter werden. Ich persönlich fühle mich als Begleiterin der Kinder. Ich sehe sie als Individuen und es ist die Aufgabe aller Erwachsenen in ihrem Umfeld sie so zu begleiten, dass sie sich gut entwickeln können und zu selbstbewussten Menschen werden.
 

Wie sieht ein typischer Arbeitstag denn für dich aus?

Die Kinder gehen alle in die Schule, also stehen selbständig auf und sind um halb acht aus dem Haus. Ich bin natürlich da und unterstütze sie, wo sie mich brauchen. Dann trinke ich mal in Ruhe Kaffee, setze mich in den Garten, komme im Tag an. Zur Tagesplanung schaue ich mir alle Termine an, die für den Tag geplant sind. Ich bringe erst das Haus in Ordnung und nehme mir anschließend noch Zeit für mich. Im Laufe des Vormittags kommt eine Familienpädagogin in den Dienst, oder auch eine Praktikantin und wir besprechen gemeinsam, was am Tag so ansteht. Mittags kochen wir und essen, wenn die Kinder nach Hause kommen. Für den Nachmittag teilen wir uns meistens auf und entscheiden, wer mit wem Hausübung macht und wer wen zu Vereinen oder zum Sport bringt. Wir haben auch eine klare Wochenstruktur in der wir festlegen, wann wir einen großen Einkauf machen oder Wäsche waschen. Außerdem habe ich noch Besprechungen, mit der pädagogischen Leitung zum Beispiel. Dann checke ich auch noch meine E-Mails oder schreibe Berichte. Gestern war zum Beispiel Elternsprechtag, da möchte ich noch die Ergebnisse zusammen schreiben. So vergeht der Tag recht schnell. Abends essen wir, schauen fern und gehen dann auch schon ins Bett. Der Große kommt meist abends noch zu mir, wenn die Kleinen schon schlafen und sucht noch das Gespräch. Dafür nehme ich mir gerne Zeit.
 

Was machst du in deiner Freizeit?

Ich habe eine kleine Wohnung hier im Ort angemietet. Dort verbringe ich meine freien Tage und genieße einfach die Stille und Zeit für mich. Mit fünf Kindern ist der Lärmpegel relativ hoch, das ist sehr belastend. Ich entspanne also beim Lesen oder Kreuzworträstel lösen, telefoniere mit Freunden, mache Spaziergänge in der Natur oder walke. Weil ich ursprünglich aus Deutschland komme sind viele alte Freunde dort. Die besuche ich ein bis zweimal im Jahr und halte so den Kontakt. Einmal im Jahr fahre ich auch meinen Bruder besuchen und nehme immer eines der Kinder mit. So lernen die Kinder auch meine Familie kennen.
 

Wie sieht dein Werdegang aus, welche Ausbildung hast du absolviert?

Ich habe in Deutschland Abitur gemacht und danach wusste ich eigentlich noch gar nicht was ich werden wollte. Ich habe dann bei der Deutschen Bahn eine Ausbildung absolviert, die sehr breit war. Dort konnte ich verschiedene Bereiche und Tätigkeitsfelder kennen lernen. Ich war zum Beispiel eine Zeit im Marketingbereich tätig. Ich war eigentlich Beamtin auf Lebenszeit. Aber auf Dauer hat mir der Sinn dahinter gefehlt. Deshalb habe ich mich als SOS-Kinderdorf-Mutter beworben und sogar die Unterstützung von meinem alten Arbeitgeber dafür bekommen. Die pädagogische Ausbildung habe ich dann noch intern bei SOS-Kinderdorf begonnen. Heute würde man das ja an einem sozialpädagogischen Kolleg oder eine Fachhochschule machen. Parallel dazu habe ich in drei SOS-Kinderdorf-Familien mitgearbeitet, dort mitgeholfen und so den Arbeitsalltag kennen gelernt. Die Entscheidung mich beruflich zu verändern habe ich nie bereut. Das war wirklich wie ein Neuanfang im Leben.
 

Was ist die größte Herausforderung in deinem Beruf?

Die größte Herausforderung ist sicher das Private und das Berufliche unter einen Hut zu bringen. Damit man noch genügend Zeit für sich hat, muss man die Balance halten und das ist schwierig. Mit fünf Kindern sieht man immer und überall Arbeit, aber irgendwann ist genug. Ich musste auch erst lernen, dass man Kinder nur gut begleiten kann, wenn man auf sich selber schaut und es einem selbst gut geht.
 

Welchen Ratschlag würdest du Personen geben, die sich für den Beruf SOS-Kinderdorf-Mutter oder SOS-Kinderdorf-Vater interessieren?

Ich würde raten, sich gut über die Rahmenbedingungen zu informieren und zum Schnuppern zu kommen. Das Bild, das viele Leute von einer SOS-Kinderdorf-Familie haben, entspricht nicht der Realität. Bewerber und Bewerberinnen sollten sich also genau überlegen, welche persönlichen Bedürfnisse sie haben und dann das Gespräch mit bestehenden SOS-Kinderdorf-Müttern suchen um abzuklären, ob man diese noch erfüllen kann.