Die TV-Moderatorin Claudia Reiterer hat über ihre Kindheit bei Pflegeeltern in der Steiermark lange geschwiegen. Mit SALTO spricht sie über die Schwierigkeit, den eigenen Rucksack aufzumachen, und darüber, was Familie heute für sie bedeutet.
Wann haben Sie begonnen, über Ihre Kindheit zu sprechen?
Wirklich verarbeitet habe ich meine Kindheit eigentlich erst, als mein Sohn zur Welt kam. Vorher habe ich es lange weggeschoben. Weil mir von klein auf klargemacht wurde, dass Pflegekinder Kinder zweiter Klasse sind. Am Land zumindest war es damals so. Und ich hatte das Gefühl, wenn die Leute das nicht wissen, behandeln sie mich normaler. Und beurteilen mich nach dem, was ich leiste.
Arbeitet man härter, wenn man es im Leben nicht so leicht hat?
Es gibt zahlreiche Untersuchungen, die zeigen, dass jedes dritte Kind, das eine traumatische Kindheit hatte, es trotzdem schafft. Und dass hier die eigene Persönlichkeit ausschlaggebend ist, das heißt, vor allem die Resilienz – also die Fähigkeit, Krisen zu bewältigen. Ich habe von klein auf sehr viel mit mir selbst geredet. Und ich habe mich einfach nie damit zufrieden gegeben, wenn Leute zu mir sagten: „Aus dir kann nichts werden“ oder „Das kannst du nicht machen.“ Aber so wirklich den Mut zu haben – das habe ich auch erst lernen müssen.
Was ist für Sie heute Familie?
Mein Mann und mein Sohn sind mein fest betoniertes Fundament aus Liebe. Und das Nest, wo ich gerne hinkomme, egal, wie es mir geht. Familie ist nicht umsonst die kleinste Einheit, die über allem steht.
Sprechen Sie mit Ihrem Sohn über Ihre Kindheit?
Ich habe schon sehr früh mit ihm darüber geredet. Und das halte ich für sehr wichtig. Denn Kinder verzeihen eines nicht: Wenn man lügt, was die eigene Familiengeschichte betrifft. Ich glaube, es ist gut, wenn man das von Anfang an erzählt, ohne groß darüber nachzudenken. Denn je länger man wartet, umso schwieriger wird’s. Ich kenne Menschen, die erst mit 17 erfahren haben, dass sie adoptiert sind. Das verzeihen Kinder ihren Eltern nie. Denn du entwickelst ja auch deine Persönlichkeit nach deinen Wurzeln.
Wie wichtig war es für Sie, zu wissen, wo Sie herkommen?
Ich hätte mein Stipendium nicht bekommen, wenn ich meine leibliche Mutter nicht ausfindig gemacht hätte. Das war damals noch gesetzlich so vorgegeben. Ich habe mir gedacht: In Wahrheit ist es eh nicht schlecht, zu wissen, wo man herkommt.
Ich bin mit dem Zug von Graz nach Tirol gefahren und habe meine Mutter um eine Unterschrift gebeten. Das war unsere einzige Begegnung. Da war ich 26. Von ihr habe ich auch erfahren, dass ich fünf leibliche Geschwister habe. Drei davon wohnten in Graz. Ich lebte also seit Jahren in derselben Stadt wie meine Geschwister, ohne es zu wissen. Ich habe dann Kontakt aufgenommen, das war aber alles nicht leicht, denn jedes dieser Geschwister hatte mit seiner eigenen Geschichte zu kämpfen.
Und heute?
Es ist schon ein Rucksack, den man mitträgt. Aber ich kenne so viele Menschen, die noch schwerere Rucksäcke zu tragen haben. Ich glaube, dass es darauf ankommt, ihn aufzumachen und gewisse Sachen auch rauszutun. Als Kind habe ich schon sehr gelitten. Das kann man dann ganz anders reflektieren, wenn man älter ist. Jeder Mensch muss seinen eigenen Weg finden, damit umzugehen. Wichtig ist, sich nicht
schuldig zu fühlen.