Mentale Gesundheit

"ICH STELLE MICH MEINEN ÄNGSTEN"

In Kenia unterstützt SOS-Kinderdorf Kinder und Jugendliche, traumatische Erfahrungen zu verarbeiten und durch Therapien ihre mentale Gesundheit zu stärken.

Der heute 19-jährige Wairegi aus Kenia war sechs Jahre alt, als sein Vater begann, ihn zu schlagen. Panisch lauschte er damals auf knallende Türen und drohende Schritte. Wairegi hat nie verstanden, warum sein Vater ihn nicht mochte. Er quälte und verspottete ihn wegen seiner Noten, seines Verhaltens und schrie in wegen der banalsten Dinge an.

Nichts, was Wairegi tat, war gut genug. "Mein Vater konnte nie sanftmütig sein, er hatte keine lieben Worte für mich übrig. Er machte aus jedem Fehler eine riesige Sache und schlug mich. Ich dachte: Warum tut er mir das an? Ich hatte kein Gefühl der Zugehörigkeit und fragte mich, warum ich in ein Umfeld der Ablehnung hineingeboren wurde." Der intelligente Jugendliche, bis anhin einer der Klassenbesten, verbarg seine Gefühle, verlor seinen Eifer und vernachlässigte die Schule. "Zu dieser Zeit musste ich sehr viel Schmerz ertragen, körperlich wie physisch."

Mentale Gesundheit durch professionelle Unterstützung

Vor sechs Jahren nahm seine Mutter Kontakt mit der Familienstärkung von SOS-Kinderdorf auf. "Ich wusste nicht, wie ich meinen eigenen Sohn vor den Schlägen schützen sollte", erzählt die 34-jährige Salome. Sie litt selbst unter häuslicher Gewalt durch ihren Ehemann, und Wairegi hatte dies schon oft miterlebt. Im Familienstärkungsprogramm lernte Wairegi Josephine Rombo kennen, eine Mitarbeiterin der Gemeindeentwicklung und ausgebildete psychosoziale Beraterin. Sein erster Besuch war kurz, aber er kam Woche für Woche wieder, weil er mit ihr über seine Gefühle und Gedanken sprechen musste.

"Je mehr Zeit wir miteinander verbrachten, desto mehr stellte ich fest, dass er sehr depressiv war", erklärt Josephine. "Die Depression schmerzte ihn so sehr, dass er vergangene Ereignisse aus seiner Kindheit nicht loslassen konnte, die er als Gewalt und Ablehnung seines Vaters ihm gegenüber bezeichnete. Das Komische daran ist, dass Wairegi seinen Vater liebte und nach dieser Vaterfigur suchte, um die Bindung zwischen Vater und Sohn herzustellen. Er suchte danach, aber je mehr er versuchte, sich an den Vater zu klammern, desto mehr griff dieser ihn körperlich und verbal an", sagt sie.

 

Wairegi geht es heute schon deutlich besser. Mit dem gewonnen Selbstvertrauen möchte er nun auch das Verhältnis zu seinem Vater verbessern.

 

Gewalt untergräbt die psychische Gesundheit von Kindern erheblich, was zu einer langfristigen psychischen Erkrankung führen kann. Wairegi versteht heute, dass die Gewalterfahrung ihm einen wichtigen Teil seiner Kindheit und seines Lebens geraubt hat. "Der Missbrauch hat mich zu einem schweigsamen, ängstlichen Menschen gemacht. Hätte ich keine schwierige Kindheit durchgemacht, wäre ich ein ganz anderer Mensch."

Gestärkt in ein glücklicheres Leben

Wairegis erdrückende Last wurde nach vielen Therapiesitzungen leichter. Josephine hat Wairegi ermutigt, sich mit seinem Vater zu versöhnen und die Gründe für die Gewalt zu erfahren, um einen Schlussstrich zu ziehen. "Meine Beziehung zu meinem Vater ist wackelig", sagt Wairegi. Er seufzt und blickt auf seine Hände. "Wir haben noch einen langen Weg vor uns. Aber ich kann sagen, dass mein Verhältnis zu meinem Vater in den letzten fünf Monaten besser war als in den letzten 18 Jahren."

Dank der Unterstützung durch das SOS-Familienstärkungsprogramm studiert Wairegi im zweiten Jahr an der Universität und erwirbt derzeit ein Diplom in Informatik. Es hat ihn Jahre der Therapie gekostet, um das zu erreichen, was er "90 Prozent Heilung" nennt. "Wenn ich diese Last vollständig los bin, kann ich frei sein, und Freiheit ist das, was ich anstrebe. Wenn ich glücklich und selbstbewusst bin, dann kann ich den Menschen in meinem Umfeld etwas bieten. Das ist es, was ich tun möchte. Ohne die Inspiration, die Gespräche und die Öffnung des Herzens wäre ich an einem schlechten Ort. Vielleicht hätte ich mein Leben dort beendet. Jetzt habe ich den Mut, mich meinen Ängsten zu stellen, den Mut, morgens aufzuwachen und für mich einzustehen."

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