SOS-Nothilfe Ukraine – 09.09.22

Interview mit Ksenia Semeniak

Ksenia ist Koordinatorin für psychische Gesundheit und psychosoziale Unterstützung in Kiew. Sie wünscht sich nur eines: "dass Eltern ihre Kinder wieder umarmen können!"

Sie beschäftigen sich mit den Themen psychische Gesundheit und psychosoziale Unterstützung in der Ukraine. Was genau sind Ihre Aufgaben?

Ich kümmere mich vor allem um die Koordination unserer Aktivitäten. Wir haben zum Beispiel mehrere mobile psychologische Teams für Geflüchtete. Und wir veranstalten Sommer- und Tagescamps, damit Familien den Kopf frei bekommen von Krieg und Gewalt. Außerdem gehört es zu meinen Aufgaben, neue Aktivitäten zur psychischen Gesundheit von Kindern und Familien zu entwickeln und umzusetzen. Wir müssen sehr flexibel sein, um uns an die sich schnell ändernde Realität anpassen zu können.
 

Aus wie vielen Personen bestehen die Teams, die Sie leiten?

Derzeit aus elf Personen. Kürzlich kamen 13 Kolleginnen und Kollegen für das Sommercamp hinzu. Wir wollen außerdem noch mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einstellen, um den Kindern der Vertriebenen und ihren Betreuungspersonen noch besser helfen zu können. Ich habe teils Kontakt zu den Begünstigten, aber natürlich arbeiten vor allem die Psychologen direkt mit den Kindern und Familien.
 

Wie sieht Ihr Tagesablauf aus?

Meine Tage bestehen hauptsächlich aus Arbeit. Das ganze Land befindet sich in einer großen Notlage und viele Menschen brauchen jetzt Hilfe. Eher seltener treffe ich mich mit Freunden zum Kochen, manchmal reise ich geschäftlich in andere Regionen. Und eine neue Sache ist in mein Leben getreten: Fahrkenntnisse sind jetzt so wichtig wie Erste-Hilfe-Kenntnisse, also habe ich beschlossen, Fahrstunden zu nehmen.
 

Diese Arbeit ist sicherlich sehr belastend. Wie gehen Sie damit um?

Ich mache viel Sport, das tut mir gut und gibt mir Kraft. Auch spazieren gehen hilft mir, um auf andere Gedanken zu kommen. Außerdem achtet SOS-Kinderdorf auch sehr auf die psychologische Betreuung seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Es gibt die Möglichkeit der Supervision, Webinare und Selbsthilfegruppen.
 

Was wünschen Sie sich am dringendsten für die Kinder und Familien aus der Ukraine?

Am meisten wünsche ich mir, dass sie in ihre Heimat zurückkehren können. Dass sie das, was zerstört wurde, wieder aufbauen können. Ich wünsche mir, dass nahestehende Menschen und wertvolle Momente so schnell wie möglich in das Leben eines jeden Ukrainers zurückkehren. Dass Familien wieder zusammenkommen und Kinder ihre Eltern umarmen können.
 

Wie erleben Sie den Krieg?

Das Leben hat sich total verändert! Das Schwierigste ist sich daran zu gewöhnen, dass man absolut nichts mehr planen kann. Es ist sehr schmerzhaft wunderbare, tapfere Menschen zu verlieren. Zu sehen wie die Städte des eigenen Landes zerstört werden. Aber gleichzeitig ist da eine unglaubliche Mobilisierung der Gesellschaft, ein gemeinsames Verständnis dafür, für welche Werte wir kämpfen. Ich plane mein zukünftiges Leben hier, ich kenne die möglichen Risiken und bin bereit, sie zu akzeptieren. Ich liebe mein Land sehr und bin sehr stolz darauf, Ukrainerin zu sein.