"Junge Männer sind gefährlich und gefährdet"

Warum althergebrachten Rollenbilder von Vätern und Großvätern nichts mehr taugen.

Bascha Mika, Chefredakteurin der Frankfurter Rundschau, hält es für dringend notwendig, jungen Männer klarzumachen, dass die althergebrachten Rollenbilder ihrer Väter und Großväter nichts mehr taugen.
 
Frau Mika, der Spiegel rief junge Männer vor einigen Jahren zur „gefährlichsten Spezies der Welt“ aus. Heute fallen sie immer deutlicher zurück in den Arbeitsmarkt- und Bildungsstatistiken.
Sind junge Männer also eine gefährliche Spezies – oder vielmehr eine gefährdete Spezies?


Beides ist richtig. Junge Männer sind gefährlich und gefährdet – in vielerlei Hinsicht. Der Hauptgrund ist, dass Männer in vielen Weltregionen noch immer von einem patriarchalen Bild geprägt sind. Von der  Vorstellung, sie müssten das Sagen haben und die Erde beherrschen. Selbst in unseren westlichen Gesellschaften sind patriarchale Bilder noch unglaublich stark verwurzelt, auch wenn sie von der Oberflächenstruktur der Gesellschaft teilweise verdrängt sind. Männer sehen sich noch immer als Entscheider, als Hauptverdiener, Familienoberhaupt und Ernährer – obwohl global die meiste Arbeit von Frauen geleistet wird, und das nicht nur in der Familie.

Haben daran nicht auch Frauen ihren Anteil?

Ja, in diesem Bild werden sie nicht nur von Männern, sondern auch von Frauen bestärkt. Auch Mütter haben patriarchale Strukturen so stark verinnerlicht, dass sie ihre Söhne entsprechend erziehen. Wenn dann die Realität diesen antiquierten Vorstellungen überhaupt nicht mehr entspricht, wenn vor allem junge, testosterongesteuerte Männer mit diesen Ansprüchen scheitern, fehlt ihnen die Befriedigung in jeder Hinsicht. Es gibt keine Triebabfuhr. Und weil es so anstrengend und auch gesellschaftlich schwierig ist, alte Bilder aufzugeben und sich einem neuen Rollenverständnis zu nähern, versuchen sie mit allen Mitteln – auch mit Gewalt – ihre Vormachtstellung in der Gesellschaft zu behaupten. Und sei es dadurch, dass sie islamistischen Rattenfängern auf den Leim gehen, die ihnen eine ungebrochene Männerdominanz vorspiegeln. In den vergangenen Jahren gab es zahlreiche Initiativen, um Mädchen verstärkt zu qualifizieren und sie in (vermeintliche) Männerberufe zu bringen.

Braucht es so etwas aus Ihrer Sicht auch für junge Burschen?

Eigentlich nicht. Denn Jungs werden nicht durch Strukturen daran gehindert, ihren gleichberechtigten Platz in der Gesellschaft zu finden. Was Jungen und Männer aber unbedingt brauchen, ist eine  Auseinandersetzung mit Rollenbildern. Dazu muss man sie anleiten. Spätestens seit der zweiten Frauenbewegung haben Frauen weltweit begonnen, sich mit solchen Fragen zu beschäftigen. Und viele Männer glauben noch heute, dass dieser Kelch an ihnen vorübergeht und sie ihre alten Stiefel weitertragen können. Gleichzeitig merken sie, dass ihnen an vielen Stellen die Frauen fehlen, die das mitmachen. Diese Unsicherheit und Umbruchsituation ist schwer zu bewältigen. Für Männer und Frauen. Nur dass wir Frauen uns schon seit längerem auf den Weg gemacht haben und viele Männer noch immer an der Haltestelle stehen.

Verstellt die Diskussion um die angebliche „Krise der Männlichkeit“ den Blick darauf, dass Frauen und Mädchen nach wie vor in vielen Lebensbereichen benachteiligt sind?

Ja, die Kampagnen, die darauf abzielten, Jungen und Männern zu ihrem angeblichen Recht zu verhelfen, haben tunlichst verschwiegen, dass die Schulversager von heute morgen noch immer leichter in die Führungsetagen aufrücken. Und dass die Panik über die abgehängten Jungs auch damit zu tun hat, dass es schon bedrohlich ist, wenn Frauen sich inzwischen wenigstens einen kleinen Teil des Kuchens, von dem sie früher nur die Krümel abbekommen haben, einverleiben können. Denn von Gleichberechtigung können wir nach wie vor nur träumen.

Buben fehlt es oft an Vorbildern, sagen Pädagoginnen, doch wo sollen die neuen Mannsbilder herkommen?

Ich bin eine große Anhängerin von Quotierung – selbst wenn es klar ist, dass die Quote nur eine Krücke  sein kann; doch die brauchen wir, solange bis uns neben dem männlichen Bein auch das weibliche gewachsen ist. Eine ausgewogene Mischung von Männern und Frauen in allen pädagogischen Bereichen
wäre deshalb unbedingt nötig. Doch es ist ja nicht so, dass Männer gehindert werden, sich in diesen Bereichen beruflich zu verwirklichen. Sie wollen es bisher nicht. Junge Migranten bringen oft ein völlig
anderes Verständnis von Geschlechterrollen aus ihren Heimatländern mit, als wir das in Europa kennen.

Welche Herausforderungen kommen da aus Ihrer Sicht auf Länder wie Deutschland und Österreich,
die besonders viele Flüchtlinge aufgenommen haben, zu?


Sehr viel Überzeugungsarbeit. Reden, diskutieren, klarstellen und die Grenzen kultureller Besonderheiten
deutlich machen. Frauenrechte sind Menschenrechte. Dahinter dürfen wir keineswegs zurückbleiben. Das müssen wir allen Migranten klarmachen. Übrigens auch Migrantinnen. Denn die Frauen aus diesen Ländern haben ja die patriarchal-unterdrückerischen Strukturen oft ebenso verinnerlicht.

Wie kann man jungen Männern mit Migrationshintergrund Geschlechtergerechtigkeit und Feminismus
näherbringen?


Es geht um einen interkulturellen Feminismus, der westliche Wertvorstellungen nicht ohne weiteres absolut setzt. Selbstverständlich müssen wir uns mit anderen Vorstellungen auseinandersetzen und an einem Feminismus arbeiten, der nicht nach westlichem Kolonialismus riecht. Aber – siehe oben – es geht eben auch um Menschenrechte.
 

Bascha Mika wurde 1954 in Polen geboren und zog als Kind mit ihrer Familie nach Deutschland. Mehr als 20 Jahre lang arbeitete sie bei der taz, seit 2009 ist sie Chefredakteurin der Frankfurter Rundschau. Ihre feministischen Publikationen sorgen in Deutschland immer wieder für Furore.

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